ZEITSCHRIFT DER WOCHE: Knotenpunkt der Literatur
Zwischen Kritik, Kunst und Wissenschaft: Die Göttinger Zeitschrift „Text + Kritik“ feiert ihren 50. Geburtstag
Einigermaßen unbeirrt stehen sie auf dem Titel, die Worte „Text“ und „Kritik“. Schwarz, serifenlos, fett, das R fast ein wenig plump. Verbunden durch ein vergleichsweise schlankes „+“. Darunter, kursiv geschwungen, die laufende Nummer und der Name von Autor oder Autorin. Die unteren zwei Drittel: ein Portraitfoto, immer schwarz-weiß.
Eher karg kommt sie daher, die Zeitschrift Text + Kritik. Seit 50 Jahren, fast zweihundert Ausgaben. Herausgegeben, betreut, zusammengestellt von Heinz Ludwig Arnold, damals noch Student in Göttingen.
Arnold, der 2011 verstarb, war seinerzeit Privatsekretär von Ernst Jünger. Für Text + Kritik schob er sein Dissertationsvorhaben für immer beiseite. Promovierte stattdessen quasi in Literaturbetrieb, dessen Knotenpunkt die Göttinger Gründung bald werden sollte. Erhard Schütz nannte Arnold 2010 zum Siebzigsten „Bekanntmacher und Ermöglicher, kurz: ein Betriebsseelsorger“.
Meist sind es einzelne AutorInnen, denen sich die Ausgaben der Quartalsschrift widmen. Unregelmäßig unterbrochen von Heften zu literaturbetrieblichen und -geschichtlichen Themen: Holocaust, Staatssicherheit, Konkrete Poesie, Krieg, Neorealismus.
Auch die nach 1990 erweiterte Neuauflage blieb Stichwortgeberin im Literaturbetrieb der BRD. Mit ihren Gegenwärtiges kanonisierenden und Vergangenes beleuchtenden Portraitausgaben – Eckhard Henscheid folgt auf Ernst Jünger (1990), Johann Gottfried Seume auf Hans Joachim Schädlich (1995) – hat sich Text + Kritik früh in einem Dazwischen eingerichtet. Es blieb ein ungewöhnlicher Brückenschlag, dass hier Literaten, Wissenschaftler und Kritiker über Facetten eines Oeuvres schreiben und dass – von gelegentlichen Gedichten abgesehen – auf literarische Texte ebenso verzichtet wird wie auf Wissenschaftsjargon.
Heft 100 zum 25. Geburtstag war der Literaturkritik selbst gewidmet. Zum 50. Gründungsjubiläum hat Text + Kritik einen Band angekündigt, der sich mit nichts Geringerem beschäftigen will als der „Zukunft der Literatur“.
Der Rückblick auf das eigene Halbjahrhundert zeigt den Weg von der Gründung in Göttingen, wo die Redaktion heute noch sitzt, über den verlegerischen Umzug nach München bis zum literatursystemrelevanten Knotenpunkt: Neben der Zeitschrift erscheinen in der „edition text + kritik“ Bücher, Periodika und die fortlaufenden Kritischen Lexika zur deutsch-, respektive fremdsprachigen Gegenwartsliteratur. TIM SCHOMACKER
■ Fest mit Felicitas Hoppe, Daniel Kehlmann, Adam Thirlwell und Roger Willemsen: So, 2. 6., 11 Uhr, Deutsches Theater Göttingen
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