Exspitzel schröpft Berlin

Ein ehemaliger Verfassungsschutz-Spitzel steht in Florenz vor Gericht. Wann das Urteil gesprochen wird, steht in den Sternen. Berlin wird wohl auf Forderung sitzen bleiben

Die unendliche Geschichte um den früheren V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes, Volker Weingraber, findet kein Ende. Schon seit 1994 prozessiert das Land Berlin gegen seinen Exspitzel um die Rückzahlung von umgerechnet etwa 230.000 Euro zu Unrecht erhaltenen Agentenlohnes. Immerhin fand am 25. November letzten Jahres vor dem Appellationsgericht in Florenz die Schlussverhandlung statt. Doch wann es ein Urteil geben und wie dies ausfallen könnte, ist ungewiss. Das liegt allein in der Hand des Richters. Dieses Vorgehen ist eine Spezialität der italienischer Finanzgerichte.

Tarnname „Wien“

Eine Prognose darüber, wann eine endgültige Entscheidung zu erwarten ist, will daher auch Matthias Kolbeck, Sprecher des verhandlungsführenden Berliner Finanzsenators auf Nachfrage der taz nicht wagen. Der Grund für den jahrelangen Rechtsstreit kennen heute nur noch wenige: Unter dem Tarnnamen „Wien“ arbeitete der damalige Zuhälter und Kleinkriminelle in den frühen 70er-Jahren als Informant für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und lieferte vor allem Informationen über die anarchistische Gruppe „Schwarzer Juni“.

Seine tatsächliche Verwicklung in den Fememord um den 1974 als mutmaßlicher Verräter erschossenen Studenten Ulrich Schmücker ist bis heute ungeklärt. Zumindest erhielt „Wien“ noch in der Tatnacht die Mordwaffe und gab sie an seinen Agentenführer weiter. Um ihren V-Mann nicht zu enttarnen, ließen die Verfassungsschützer den Revolver lieber im Panzerschrank verschwinden; bis heute das düsterste Kapitel in der Geschichte des LfV.

Nachdem „Wiens“ Spitzeltätigkeit 1979 bekannt geworden war, erhielt er vom LfV rund eine halbe Million Mark, um unterzutauchen und sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Weingraber wählte Italien und kaufte sich von der Summe ein Weingut in der Toscana. Auch diese Tarnung flog 1986 auf, und da die Verfassungsschützer trotz all dieser Jahre mögliche Racheakte gegen ihren ehemaligen Verfassungsschutz-Spitzel befürchteten, erhielt er 1987 für einen erneuten Identitätswechsel noch einmal die Summe von 450.000 Mark.

Die nahm Weingraber gern an, blieb wo er war und steckte das Geld in den Ausbau seines Weingutes. Da sich seine früheren Auftraggeber nicht weiter um die Sache kümmerten, ging der Coup gut, bis sich 1990 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss um die „Schmücker-Mord“-Geheimdienstaffäre kümmerte.

Identitätswechsel

Mit mehrjähriger Verspätung fühlte sich Berlin übers Ohr gehauen, strengte 1994 einen Prozess gegen den Exagenten an und verlor im Frühjahr 2002 zunächst. Nur er selbst habe aus Berlin neue Papiere erhalten, nicht jedoch seine Frau und deren Sohn, wie dies vereinbart worden sei, behauptete Weingraber. Ein erneutes Untertauchen sei ihm daher unmöglich gewesen. Der Fehler liege also „bei denen“. Gegen dieses Urteil legte Berlin Revision ein. Seit November 2005 ist die Angelegenheit für den österreichischen Edelmann „Wien“ erledigt.

Aber selbst wenn er doch noch verlieren sollte: Mehr als einige Flaschen Wein wird der Berliner Senat kaum sehen. Denn rechtzeitig vor Beginn des ersten Prozesses hatte er das Weingut auf seine Lebensgefährtin überschrieben und ist seither arm wie eine Kirchenmaus. Spannend bleibt nur noch die Frage, was die Prozessorgie gegen ihren Ex-V-Mann das Land Berlin am Ende kosten wird.

OTTO DIEDERICHS