Experten der Liebe

Gott als Nahtstelle: Anhand der ersten Enzyklika des Papstes lässt sich gut begreifen, warum der Katholizismus zuletzt an Attraktivität gewonnen hat

Die Liebe zu besingen ist die ehrenvolle Aufgabe von Poesie und Popmusik. Die Vernunft zu reinigen, darum bemüht sich die Philosophie. Wie man Erkenntnis und Willen für die Erfordernisse des Guten öffnet, das untersucht die Rhetorik. All das hat sich allerdings auch der Papst in seiner ersten Enzyklika vorgenommen. Und noch mehr. Auch für die anderen schweren Begriffe, die Benedikt XVI. in seinen Text eingebaut hat – Gerechtigkeit, Globalisierung, Massenmedien wären weitere –, lässt sich ein Spezialdiskurs anführen, zu dem Benedikt XVI. nun in Konkurrenz tritt.

Er tut es, so viel kann man anerkennen, sehr selbstbewusst. Der hohe Einsatz dieses Textes ergibt sich daraus, dass sich der Papst viel Mühe gibt, sich bei allen diesen Diskursen auf Augenhöhe mit den Experten zu bewegen – ein Papst, der sich in Erosfragen mit Nietzsche und in Gerechtigkeitsfragen mit dem Marxismus auseinander setzt, das ist doch auch hübsch! Andererseits taucht an den großen Problemstellen doch immer wieder nur Gott als Nahtstelle auf. Er ist der Allesüberbrücker, der Ratzinger behände von Liebe zu Monogamie, von Leib zu Geist oder von sozialen Fragen zur Anerkennung des ganzen Menschen springen lässt. Gläubig sein heißt im Verständnis des Papstes offenbar, die großen Gegensätze der Moderne zwar wahrzunehmen – so viel Intellektueller ist er –, zugleich aber darauf zu setzen, dass sie doch wieder in eins fallen – so viel Gottvertrauen muss sein, sagt er.

Über den Begriff Gott die Einheit von Gegensätzen zu behaupten – das ist ein Taschenspielertrick. Und was den Zentralbegriff, den der Liebe, angeht, kann man mit dem profanen Stolz eines mitten im Leben und seinen unvermeidlichen Beziehungskrisen stehenden Menschen anmerken: Wer, wie Ratzinger das tut, Liebe in Vernunft aufgehen lässt, weiß von realer Liebe nicht alles (wer weiß das schon!).

Immerhin, es lässt sich anhand dieser Enzyklika greifen, warum der Katholizismus zuletzt wieder an Attraktivität gewonnen hat, auch in unserer liberalen Gesellschaft. Dem gelebten Glauben, wie er sich auf Kirchentagen zeigt, bietet er prima Slogans. Liebe, Sinnstiftung, Ganzheitlichkeit, Einheit – das sind attraktive Begriffe, die einen schönen Überbau für gemeinschaftliche Zusammenkünfte bieten. Hierin zeigt sich der deutsche Papst als guter Verkäufer der eigenen Sache. Auch wenn man mit guten Gründen bestreiten kann, dass das ein unique selling point für den Katholizismus ist, wie die Enzyklika behauptet. Selbst so weltliche Ereignisse wie Fußballweltmeisterschaften werden inzwischen unter gemeinschaftsstiftenden Aspekten („größtes Nationalteam aller Zeiten“) beworben.

Und für die Renaissance des Katholizismus in intellektuellen Kreisen bietet die Enzyklika auch Anknüpfungspunkte. Der Kirche kommt es zu, schreibt Ratzinger, „zur Reinigung der Vernunft und zur Weckung der sittlichen Kräfte beizutragen, ohne die rechte Strukturen weder gebaut werden noch auf Dauer wirksam sein können“. Eine Religiongskritik, die bestreitet, dass die Kirche zu solchen Dingen wirklich etwas beizutragen hat (weil sie reaktionär ist), geht inzwischen ins Leere. Wichtiger scheint zu sein, dass der Katholizismus à la Ratzinger sich gut eingemeinden lässt in eine große Koalition derjenigen, die die liberale Gesellschaft zwar anerkennen, aber zugleich behaupten, dass sie Voraussetzungen hat, die sie selbst nicht herstellen kann. Diese Koalition reicht von Konservativen bis hin zu Jürgen Habermas. Da kommen dann Werte oder Glaubensinhalte ins Spiel – die sittlichen Kräfte halt. Aber wer sagt denn, dass die Strukturen der Gesellschaft das brauchen? Die Frage, woran man wirklich glauben will – an Gott oder die liberalen Institutionen –, hat diese Enzyklika beeindruckend herausgearbeitet. DIRK KNIPPHALS