„Die Fatah muss die Scherben aufkehren“

Die Wut über die Misswirtschaft der Fatah-Funktionäre hat die Mehrheit der Palästinenser zur Stimmabgabe für Hamas veranlasst. Da nutzten auch die Drohungen der EU und der USA, ihre Finanzhilfen zu stoppen, nichts, sagt Politikwissenschaftler Hisham Ahmed

taz: Herr Ahmed, überrascht Sie das Wahlergebnis?

Hisham Ahmed: Sosehr ich heute mit der Fatah sympathisiere, so wenig überrascht mich das Ergebnis der Parlamentswahlen. Ich habe seit langem davor gewarnt, dass die Fatah nicht erreichen wird, worauf sie hofft. Die Fatah war geteilt und wurde missbraucht von Leuten, die nur ihre eigenen Interessen verfolgten, anstatt die Interessen der Bewegung oder des Volkes zu berücksichtigen. Was wir heute sehen, ist weder die wahre Größe der Fatah noch der Hamas. Das Ergebnis spiegelt in großem Maße die Frustration der Gesellschaft über die Misswirtschaft der führenden Partei.

Halten Sie einen Prozess, wie ihn die Fatah durchmacht – von der Widerstandsbewegung zur politischen Fraktion – auch bei der Hamas für denkbar?

Nach dem gestrigen Ergebnis wird die Hamas realisieren, dass das Festhalten am Widerstand vom Wähler belohnt wird. Deshalb wird die Hamas den Widerstand nicht aufgeben, gleichzeitig aber versuchen, einen pragmatischen Weg einzuschlagen und ihr Image zu verändern. Sie wird sich auf interne Probleme konzentrieren.

Auf welcher politischen Plattform könnten sich die beiden so gegensätzlichen Bewegungen Fatah und Hamas treffen?

In der Politik ist nichts unmöglich. Alles hängt davon ab, wie man es anstellt. Die Fatah muss sich stärker auf die innerpalästinensischen Angelegenheiten konzentrieren und die Scherben aufkehren. Die parteiinternen Strukturen müssen neu organisiert werden. Es gibt genügend potente Leute in der Partei, die endlich zum Zuge kommen sollten. Der Fokus beider Bewegungen sollte dann das gemeinsame Ziel des internen Aufbaus sein.

Angenommen, ein Zusammengehen scheitert. Halten Sie einen Bürgerkrieg für möglich?

Ich bin sehr besorgt.

Glauben Sie, dass die USA und die EU ihre finanzielle Unterstützung einstellen werden?

Ein arabisches Sprichwort besagt: Wer auf dem Meeresgrund sitzt, fürchtet den Regen nicht. Die Palästinenser interessiert die Einstellung der Finanzhilfen vorläufig wenig. Im Übrigen glaube ich, dass die Äußerungen von US-Präsident Georg W. Bush mit der Grund für das Wahlergebnis waren. Das war auch ein Protest gegen die Drohungen.

Aber die Palästinenser werden einen hohen Preis bezahlen müssen.

Das stimmt, aber die Leute sind bereits am Boden – die Armut und die hohe Arbeitslosenrate, das Gefühl, dass das Geld in die Taschen von wenigen fließen, die das Monopol der Macht haben. Im Übrigen glaube ich, dass der finanzielle Druck die Gefahr weiterer Radikalisierung der Palästinenser birgt. Ich würde sehr davor warnen, die Drohungen umzusetzen. Die gleichen alten Taktiken, die Palästinenser zu beeinflussen, funktionieren nicht.

Was sollte Israel tun. Ein Dialog scheint vorerst ausgeschlossen zu sein.

Tatsache ist, dass es auch vor den Wahlen keinen Dialog gab. Auf kurz oder lang müssen die Israelis ihre Haltung ändern. Man kann die demokratisch gewählte neue Regierung nicht ignorieren.

Glauben Sie, dass der Wahlsieg der Hamas über die Grenzen hinaus wirken wird?

Wir Araber sagen: Erfolg nährt Erfolg, Versagen nährt Versagen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Popularität der islamischen Bewegungen in der gesamten Region wachsen wird. Gerade deshalb will ich die westlichen Nationen dazu aufrufen, einen neuen Weg zu den arabischen Gesellschaften zu finden, sonst werden die weltlichen Strömungen noch weiter geschwächt werden. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL