Im Land der Hütten

Der Norweger an sich ist ehrlich, fährt Ski – und wandert durch die freie Natur

VON FRANK KETTERER

Norwegen ist das Land der Skiläufer, und zweifelsohne hat das auch damit zu tun, dass jedem kleinen Norweger schon im Dreikäsehochalter ein paar Bretter unter die Schuhe geschnallt werden. Der Norweger mag das, und selbst wenn er es nicht mögen sollte, dürfte er das nie zugeben und schon gar nicht den Satz sagen: „Ich fahre nicht gerne Ski.“ Denn wie leicht könnte man dann denken, dass dieser Norweger kein echter Norweger ist – und wer will sich so etwas schon nachsagen lassen.

Norwegen ist auch das Land der Fjorde, der Elche und Biber. Erstere sind immer da, die Elche laufen bisweilen über die meist autoleeren Straßen, von den Bibern bekommt man nur die Burgen zu sehen, das aber reichlich. Außerdem ist Norwegen das Land der puren Natur und der Hütten, was alles prima zusammenpasst, weil man nur aus seiner Hütte heraustreten muss, um in all der puren Natur Ski laufen oder wandern zu können, beobachtet nur von Elch und Biber. Ja, genau so ist Norwegen.

Wobei: Für den Deutschen bedeutet Norwegen gemeinhin Nordnorwegen, also das berühmte Nordkap. Der Norden seines Landes besitzt traditionell auch für den Norweger eine größere Bedeutung. Zum einen, weil hier die Grenze zum ehemaligen Weltreich Sowjetunion verlief, zum anderen, weil Fischfang und Erdölforderung Arbeitsplätze garantieren. Wenn der Norweger mal nicht gerade Erdöl fördert oder Fische fängt, fährt er hinunter in den Süden seines langen, schmalen Landes. Hier ist das Klima sanfter, es fällt kaum Regen, und die höchste Elchpopulation gibt es obendrein. Der Norweger nennt den Süden seines Landes deshalb auch stolz die „norwegische Riviera“.

Der Deutsche sollte sich das gut merken, schon weil es zum Nordkap eine Weltreise ist, zur norwegischen Riviera nur ein größerer Katzensprung. Per Auto und Fähre sind es von Hamburg nach Kristiansand, der größten Stadt im Süden, ganze neun Stunden, im Flieger geht’s noch schneller. Die beste Art, zu wohnen, ist in Sommerhäusern. Der Norweger liebt Sommerhäuser. Rund 400 Euro pro Woche sind für die durchaus luxuriösen Häuschen zu berappen. In der Hauptsaison kann der Preis schon mal das Doppelte bis Dreifache betragen.

Ähnlich ausgeprägt wie die Sommerhauskultur ist die Wanderhüttenkultur in Norwegen. Cabins werden diese Hütten genannt, rund 500 betreibt der Norwegische Bergwanderverein Den Norske Turistforening (DNT). Das System der Hütten ist ebenso einfach wie genial: Entlang den Wanderwegen, die oft eher Pfade denn wirkliche Wege sind, stehen die meist unbewirtschafteten Cabins und warten auf Gäste. Stundenlang kann man hier, im Hochland, durch urwüchsigste Natur, vorbei an Schafen, Felsen und Moltebeeren wandern, ohne auf einen anderen Menschen zu treffen; umso mehr freut man sich auf die Möglichkeit der Einkehr in einer der urigen Holzhütten, etwa der Lakkenstova in der Nähe von Ljosland. In der Küche gibt es einen Gaskocher, auf dem Holzofen nebenan einen großen, silberglänzenden Kochtopf. In einem Regal hinter einem Vorhang stehen die notwendigsten Lebensmittel zum Kauf bereit. Im oberen Stockwerk bietet ein Matratzenlager auch Gruppen zur Übernachtung Platz, unten gibt es drei Zwei- bis Dreibettzimmer, die Küche sowie einen gemütlichen Aufenthaltsraum. Der kleine See vor dem Haus dient als Bad.

265 Kronen (rund 35 Euro) kostet die Übernachtung oder 160 Kronen (rund 22 Euro), wenn man DNT-Mitglied ist (70 Euro Jahresbeitrag). Kontrolliert wird die Bezahlung der Übernachtungen freilich nicht, in der Küche hängt ein Holzkästchen, in das man seinen Obolus für Kost und Logis einwirft; wer kein passendes Bargeld bei sich trägt, kann auch ein bereitliegendes Überweisungsformular ausfüllen und ins Kästchen stecken. „Es ist wirklich nur ein ganz, ganz kleines Problem, dass Leute nicht bezahlen“, sagt Heidi Sørvig, die Tourismuschefin von Mandal. Die norwegischen Tugenden Offenheit und Gottvertrauen macht sie dafür verantwortlich. Vorausbuchen kann man die Wanderhütten nicht; wer zuerst kommt, wohnt zuerst. Geöffnet sind die unbewirtschafteten Cabins ganzjährig, bis auf drei Wochen im August. Dann geht der Norweger auf Elchjagd. Elche jagen lernt er übrigens gleich nach dem Skifahren.

FRANK KETTERER ist Sportredakteur der taz