Zahlen gehen vor Liebhabereien

Petra Gollar kam der Kündigung zuvor – sie übernahm den Laden. Ab jetzt zählt nur noch der Umsatz. Aber wer früher Betriebsratsvorsitzende war, für den ist Teamgeist kaum weniger wichtig. Ein Besuch bei einer Existenzgründerin

„Und, wie viele hast du entlassen?“ Keine, kann sie dann antworten.

Ein Blick kann schon genügen. Zwischen Nackenrasieren und Fönen schnell ein Schluck Kaffee. Nanu – was für eine hübsche Tasse! Villeroy & Boch?

Im oberen Preissegment der Tischkultur zählen beim Marketing die leisen Töne. So spricht Petra Gollar schon mal befreundete Friseure an, ob sie den Kaffee für die Kunden nicht in ihrem Porzellan servieren wollen. Eine exquisite Kundenkartei von Porzellanfans wird liebevoll gepflegt. Regelmäßig finden Events statt, bei denen man zum Beispiel lernt, den Suppenlöffel mit einen Draht-Kunstwerk an der Serviette festzuzurren. Oder andere Kniffe aus der Kunst des Tischdeckens. „Zeitungsanzeigen werden Sie von uns nicht finden“, erklärt Petra Gollar ihre exklusive Marketingstrategie.

Die 45-jährige hat im November 2004 als Franchise-Nehmerin die Bremer Filiale des Porzellanimperiums übernommen. Der Konzern plante damals, sich von seinem Bremer Standbein zu trennen und die sechs Angestellten zu kündigen. Petra Gollar, zu der Zeit angestellte Filialleiterin, wollte nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz retten. „Und, wie viele hast du entlassen?“ Diese Frage hört sie dauernd. Keine, kann sie dann antworten. „Ich würde mehr verdienen, wenn ich weniger Personal hätte. Aber ich habe da einen anderen Ansatz. Ich war Betriebsratsvorsitzende“, sagt die Einzelhandelskauffrau.

Petra Gollar ist eines der Vorzeigebeispiele von BEGIN für eine gelungene Existenzgründung. Fachkenntnisse, Branchenerfahrung, kaufmännisches Wissen – alles optimale Voraussetzungen. Und Zahlen gehen bei ihr vor Liebhabereien. Als sie das Geschäft übernahm, hat sie erstmal das Sortiment umstrukturiert: knallhart nach den Umsatzzahlen. Ladenhüter raus.

Von Begeisterung für Porzellan hört man sie nicht sprechen. Wenn sie etwas Emotionales sagt, dann klingt das eher so: „Ich will beweisen, dass ein Team von Frauen das schaffen kann.“

Wie weit sie dabei in die Zukunft blickt, will sie offen lassen. „Wer plant schon bis zur Rente?“

Jemand wie sie denkt auch nicht an den worst case. Das ist die einzige Selbstkritik, die sie eingesteht.

Dass ein Mietvertrag eine Ausstiegsklausel enthalten muss, dass man Vorkehrungen dafür treffen muss, wie man im schlimmsten Fall sein Unternehmen wieder abwickelt, hat sie erst lernen müssen.

Im Moment braucht sie aber nicht darüber nachzudenken. Von den immerhin zehn Franchise-Filialen des Unternehmens sei ihre die erfolgreichste, kann sie berichten. Existenzgründung – eine Goldgrube? „Etwas mehr verdienen möchte man schon, wenn man das Risiko auf sich nimmt.“

Annedore Beelte