Manöver statt Prozess

Schweden lädt russische Brigade zu Manöver, obwohl ihr Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden

STOCKHOLM taz ■ „Ich weiß nicht, wie Schweden je wieder glaubwürdig Menschenrechtsverletzungen anprangern will.“ Robert Hårdh vom schwedischen Helsinki-Komitee ist empört. Trotz Protesten durfte eine in Tschetschenien eingesetzte und dort schwerer Kriegsverbrechen beschuldigte russische Brigade eine Woche lang mit schwedischem Militär in Lappland ein Manöver abhalten. Und trotz einer Strafanzeige wegen Menschenrechtsverletzungen ließen Regierung und Anklagebehörde einen russischen ehemaligen Tschetschenien-Befehlshaber aus Schweden wieder unbehelligt ausreisen. „Indirekt legitimiert Schwedens Regierung das Vorgehen des russischen Militärs dort“, meinte Hårdh.

Die erste gemeinsame Übung mit russischem Militär sollte laut schwedischer Seite einer möglichen Zusammenarbeit bei UN-Friedenseinsätzen dienen. Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow sprach dagegen von „Training im Antiterrorkampf“. Es sollte schon vor drei Jahren stattfinden, wurde aber damals von Stockholm mit Verweis auf das russische Vorgehen in Tschetschenien abgesagt.

Als bekannt wurde, dass Moskau Teile der 138. Motorschützenbrigade nach Schweden schicken wollte, gab es sofort Kritik seitens des Tschetschenien-Komitees. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat Kriegsverbrechen der Brigade in Tschetschenien umfassend dokumentiert. So sollen ihre Soldaten Zivilisten die Hände abgehackt und sie dann mit Kopfschüssen getötet haben. Stockholm zeigte sich von der russischen Brigadeauswahl zwar deutlich irritiert, doch laut Verteidigungsministerin Leni Björklund „ist dies nun einmal die Entscheidung eines jeden Landes selbst“.

Laut Moskau ist die 138. Brigade inzwischen bei St. Petersburg stationiert und hat mit Tschetschenien nichts mehr zu tun. Stark unter Druck geriet Stockholm, als ein Journalist den Oberst Boris Podoprigoda wiedererkannte, den er 2002 als stellvertretenden Oberbefehlshaber in Tschetschenien interviewt hatte. Jetzt zu seinem damaligen Einsatz befragt, wollte er „keinerlei Menschenrechtsverletzungen“ in Tschetschenien gesehen haben, zudem sei „Nordschweden nicht der richtige Ort, das zu diskutieren“.

Obwohl die spezielle Anklagebehörde zur Verfolgung internationaler Verbrechen zwei Tage Zeit hatte, auf eine umgehend vom Helsinki-Komitee erstattete Strafanzeige zu reagieren, konnte Podoprigoda Schweden unbehelligt wieder verlassen – und zwar laut dem Fernsehsender TV4 auf Intervention der schwedischen Regierung hin. Diese scheute offenbar einen ernsten Konflikt mit Moskau.

Stockholms Verhalten, zu dem auch gehört, dass man keinerlei Bedenken hatte, verdächtigen Kriegsverbrechern Einreisevisa auszustellen, wird nun Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung sein.

REINHARD WOLFF