Britische Liberale in der Krise

Parteichef Kennedy trank und musste gehen. Ein Nachfolgekandidat hielt sich einen Strichjungen, einer ist trotz Anti-Schwulen-Kampagne bisexuell. Und nun?

DUBLIN taz ■ Erst läuft ihnen der Führer davon, jetzt die Basis. Großbritanniens Liberale Demokraten stecken in einer schweren Krise, nachdem vor drei Wochen ihr Parteivorsitzender Charles Kennedy wegen Alkoholismus zurücktrat und am vergangenen Wochenende auch ihr innenpolitischer Sprecher Mark Oaten, der sich Hoffnungen auf die Nachfolge gemacht hatte und jetzt über eine Sexaffäre stolperte. Nach neuesten Meinungsumfragen liegen die Liberalen bei nur noch bei 13 Prozent – 8 Punkte weniger als Ende Dezember. Dabei hatten sie im vergangenen Mai bei den Parlamentswahlen ihr bestes Ergebnis seit 80 Jahren erzielt.

Einer der Kandidaten für Kennedys Nachfolge war Mark Oaten. Der 41-Jährige hatte sich als Vertreter eines „harten Liberalismus“ für ein schärferes Vorgehen gegen Kriminalität eingesetzt. Vor einer Woche beendete die britische Boulevardpresse seine Karriere. Die Sonntagszeitung News of the World verkündete, Oaten habe vor zwei Jahren über mehrere Monate eine Beziehung zu einem „Mietjungen“ unterhalten. Als der ihn im Fernsehen erkannte, sei „Oaten blass geworden und ließ sich fortan nicht mehr sehen“, zitiert das Blatt den Prostituierten.

Oaten, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, entschuldigte sich am Wochenende „für meinen Fehlschluss bei meinem persönlichen Verhalten und für die Verlegenheit, in die ich meine Familie, meine Freunde, meine Wähler und meine Partei gebracht habe“. Seine Kollegen sind erbost, dass Oaten überhaupt für die Parteiführung kandidiert hat. „Wenn jemand bereit ist, mit Mark für 80 Pfund ins Bett zu gehen“, sagte ein Abgeordneter, „dann ist er erst recht bereit, der News of the World für eine erheblich höhere Summe davon zu erzählen.“

Wenigstens sei Oaten nicht so weit gegangen wie der frühere Liberalen-Chef Jeremy Thorpe, sagte eine Wahlhelferin der Liberalen. Der musste 1976 zurücktreten, weil er den Mord an seinem Geliebten in Auftrag gegeben haben soll. Zwar wurde er nach einem umstrittenen Prozess freigesprochen, aber seine politische Karriere war beendet.

Als nächster steht nun Simon Hughes im Rampenlicht, einer der profiliertesten liberalen Politiker Londons und heute Parteipräsident. Am Donnerstag gab Hughes erstmals zu, dass er bisexuell ist. Seine politische Karriere hatte Hughes allerdings 1983 mit einem populistischen Anti-Schwulen-Wahlkampf gegen den homosexuellen Labour-Politiker Peter Tatchell im Südlondoner Wahlkreis Bermondsey bekommen. Damals nannte sich Hughes „the straight choice“ – die „anständige Wahl“.

Unbefleckt bleibt jetzt nur noch der völlig unbekannte Ökonom Chris Huhne und der 64-jährige außenpolitische Sprecher Menzies Campbell, der ohnehin als Favorit für die Nachfolge gilt. Doch der innerparteiliche Wahlkampf dauert noch bis März. Und die Zukunft verheißt den Liberaldemokraten nichts Gutes. Sie werden bei den nächsten Kommunalwahlen im Mai Verluste einstecken müssen – und zwar nicht nur wegen Kennedy. Die Tories sitzen ihnen im Nacken, nachdem sie mit David Cameron einen Mann an die Spitze gewählt haben, der die Konservativen zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt als wählbar erscheinen lässt.

RALF SOTSCHECK