RECHERCHE IN FEUCHTGEBIETEN
: In Zürich kostet jeder Fehler ein Vermögen, in Berlin trinkt es sich besser

VON ANDREA HÜNNIGER

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Das fing ja schon total scheiße an. Freitagmorgen aufgewacht und überlegt, warum es noch mal ganz wichtig war, früh aufzustehen. Frost knisterte die Fensterscheibe entlang, Nebel wehte vorbei. Richtig. Flugzeug erwischen, um nach Berlin zu fliegen. Ich befinde mich in Zürich, jeder kleine Fehler kostet hier ein Vermögen.

Taxi angerufen. Taxi kommt. „Bitte machen Sie schnell, der Flieger geht in 20 Minuten.“ Taxifahrer lacht und fährt nicht schneller, als die Straßenverkehrsordnung erlaubt. Taxi hält. Wühlen nach Kleingeld. Ohne Verschlafen hätte man sich 70 Franken sparen können. Aber die sind jetzt auch nicht da. Taxifahrer sehr, sehr wütend. Schreit, dass es bis zum Schalter dröhnt, wo eine Frau der Fluggesellschaft sagt, dass es ihr leidtut, gerade haben sich die Türen des Fliegers geschlossen. Okay. Flug verpasst. Umbuchen. Kostet natürlich Geld. Geld nicht da. Bank angerufen. Bank schläft noch. Verzweiflung. Mutter anrufen. Mutter wünscht viel Glück. Warten. Nachdenken. Wie lange überlebt man am Flughafen? Bank ruft zurück. Bank denkt nach. Die Uhr tickt. Bank gibt Geld frei und verschenkt bei der Gelegenheit gleich noch drei Sparbücher und irgendwelche Konditionen. Was lernen wir daraus? Jeder braucht eine Kreditkarte!

Gut, das hätten wir hinter uns gebracht. Wer hätte gedacht, das Reisen ohne Geld so beschissen sein kann. Journalistisch gesehen interessanter war allerdings die folgende Begegnung mit dem Brigitte-ohne-Modells-Team. Bei dieser Sache ist es ja total peinlich zuzugeben, dass man sich beworben hat, um – oho – mal in der Brigitte Model zu spielen. Kein ernst zu nehmender Mensch unter 35 liest Brigitte, es sei denn, man sitzt im Wartezimmer einer Arztpraxis, und selbst da haben die Magazine nicht umsonst Schutzumschläge, damit man frei von peinlichen Gefühlen reinschauen kann. Jedenfalls hatten die zwei Mitbewerberinnen keine Zeit. Die Wahl fiel auf mich. Und die Maskenfrau schnitt gerade an den Haaren herum und schminkte gleichzeitig das Gesicht („Schätzchen, reichst du mir mal das Armani Nr. 6, Olive“), als die Redakteurin mit Notizblock und Bleistift zu recherchieren beginnt: „So, und als du den Conditioner in die Haare gemacht hast, waren die da feucht?“ Die Maskenfrau legt den Kopf zur Seite, betrachtet mich streng im Spiegel, und setzt zum Nicken an: „Ja, die Haare, würde ich sagen, waren feucht.“ „Wie feucht?“, bohrte die Redakteurin unnachgiebig. „Ziemlich feucht sogar. Ich würde sagen: waschfeucht.“ Es ist einer jener Momente, in denen man ganz konzentriert an sein Honorar denken muss.

Nachdem sie mich wie einen Clown vollgepinselt hat, schaut sie mich im Spiegel an, ein Hauch eines großen Eroberers lag in ihrem Blick. So wie Alexander oder Kolumbus geguckt haben müssen, als sie irgendwas, Land oder Menschen oder so, entdeckten und eroberten. Die Maskenfrau spricht: „Ich sag’s doch immer wieder: Jede Frau ist schön!“

Freitag und Samstag rinnen so dahin. Bleibt nur noch der Sonntag, um sich ins Koma zu trinken, nicht ohne Alibi natürlich, aber das liefert gerade ganz Berlin, denn es ist Filmfest, es gibt also überall Anlässe, anzustoßen: auf diese oder jene Premiere, auf die Kälte, auf einen sehr guten Film, auf eine Begegnung, auf einen sehr schlechten Film, auf die klare Nacht. Die Revolver-Party im Festsaal Kreuzberg war überfüllt, niemand kam zur Bar, niemand zur Toilette, und trotzdem hat man Zeit rumgekriegt. Berlins 300.000 arbeitslose Schauspieler und wir, die 500.000 schlampigen Autoren, kommen aus ihren Löchern gekrochen und versammeln sich am Potsdamer Platz, um dem Tag eine Ordnung zu geben. Zum Frühstück den Blockbuster, am Abend finnisches Drama. Und das Ziel ist, vergessen zu machen, dass es einen blöden Alltag gibt.