Schnittstelle für Entdeckungen

JUBILÄUM Das Kino Arsenal feiert 50-Jähriges und hat dafür mit dem „Living Archive“ seine eigene Geschichte neu erschlossen

■ Zur Feier des Fünfzigjährigen gibt es im Arsenal ein Festival des Projekts „Living Archive“, in dem durch den Juni präsentiert wird, was es mit der „Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Paxis der Gegenwart“ auf sich hat. Zur Eröffnung des Programms heute im Arsenal um 19 Uhr werden unter anderem Arsenal-Gründer Ulrich Gregor und Bernd Naumann, Staatsminister für Kultur und Medien, sprechen.

■ Um 21 Uhr wird dann von Alexander Dowshenko der sowjetische Revolutionsfilm „Arsenal“ (1928) gezeigt, von dem das Arsenal anlässlich des 50. Jubiläums mit Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds eine restaurierte Kopie erwerben konnte und der der Institution auch den Namen gab. Der Eintritt ist frei. Weitere „Living Archive“-Veranstaltungen bis 30. Juni im Arsenal und im KW Institute for Contemporary Art. Info: www.arsenal-berlin.de

VON LUKAS FOERSTER

Die sichtbarste Manifestation jenes Relaunches, dem das Kino Arsenal im Herbst 2008 seine kuratorische Arbeit unterzogen hatte, stellte ein neues Programmheft im DIN-A5-Format dar. Mindestens in diesem Juni ist das ein Verlust. Wären die überdimensionierten Faltblätter, die vorher einen Überblick über das Monatsprogramm verschafft hatten, noch im Umlauf, so könnte man den fast schon wahnwitzigen Umfang dessen, was sich das Kino zum eigenen 50-jährigen Jubiläum ausgedacht hat, mit einem Blick erfassen: Mehr als drei Dutzend Unterkapitel enthält das aktuelle Monatsprogramm, und jedes einzelne verspricht einen ganz eigenen Zugang zur Filmgeschichte.

„Freunde der deutschen Kinemathek“ nannte sich der Betreiberverein des Arsenals, bevor er sich, ebenfalls 2008, zum Institut für Film und Videokunst e. V. umwidmete. Die Gestaltung des Jubiläums überlässt der Verein nun den Freunden der Freunde. Der Jubiläumsmonat Juni ist gleichzeitig der vorläufige Endpunkt eines Projekts, mit dessen Hilfe das Arsenal seine eigene bewegte Geschichte neu zu erschließen und in die multimediale Gegenwart hinein zu vermitteln versucht: Unter dem Dachbegriff „Living Archive“ beschäftigten sich 40 Einzelpersonen und Kleingruppen, zumeist Künstler, Wissenschaftler und Kuratoren aus dem Umfeld des Arsenals, zwei Jahre lang mit jeweils frei gewählten Aspekten des Archivs der Freunde der Deutschen Kinemathek – einer Filmsammlung, die älter ist als das Kino selbst und die ihren außergewöhnlichen Umfang vor allem einer engen Kooperation mit dem Internationalen Forum des jungen Films verdankt, jener Berlinale-Sektion, der der Arsenal-Gründer Ulrich Gregor lange Jahre in Personalunion vorstand. Vor allem in den Bereichen des politischen und des experimentellen Filmschaffens birgt dieses Archiv Erstaunliches.

So hat man in diesem Monat praktisch jeden Tag die Möglichkeit, sich das Kino auf neue Art zu erschließen, sei es in Form ganzer vergessener Filmgeschichten – die Mini-Serie „Das Kino der Republiken“ beschäftigt sich mit sonst kaum zugänglichen Filmen aus den entlegeneren Regionen der Sowjetunion – oder in Form eines sozusagen von Anfang an vereinzelten Außenseiterwerks wie Kidlat Tahimiks delirantem Debütfilm „Der parfümierte Albtraum“. „Living Archive“ zielt dabei nicht nur auf das klassische Kinodispositiv. Zahlreiche andere Teilprojekte machen sich das Archiv auf andere Art zu eigen, verstehen es zum Beispiel eher als Ausgangsmaterial für eigenständige künstlerische Arbeit: Videoinstallationen, Performances, Literarisches. Das von zahlreichen Podiumsdiskussionen und Filmgesprächen, von Buch- und DVD-Präsentationen begleitete Programm präsentiert das Arsenal als das, was es heute ist: nicht mehr als das gleichzeitig bewegungslinke und cinephile Kinoprojekt früherer Jahrzehnte, auch nicht als „klassische Kinemathek“, die mit staatstragendem Gestus Kanonpflege betreibt, sondern als eine nach vielen Seiten offene Schnittstelle im zunehmend unübersichtlicher werdenden Raum der zeitgenössischen Kulturproduktion.

Ein Konzept von Kino

In diesem Sinne stellt sich den Juni über am Potsdamer Platz weniger ein einzelnes Kino denn ein Konzept von Kino vor. Das ist ein Unterschied, der an einer Stelle im Monatsprogramm dann doch wieder – und vielleicht auch ein wenig: als Problem – sichtbar wird.

Ganz am Anfang der Jubiläumsveranstaltungen in den ersten Junitagen stand im Arsenal eine Wiederaufnahme jener drei Programme, die Ende Mai 1963 den Kinobetrieb der Freunde der Deutschen Kinemathek eröffnet hatten: Mutige, eigenwillige Konfrontationen filmhistorischer Klassiker mit (damals) neuen und avancierten filmkünstlerischen Positionen waren das, gleich das allererste Screening kombinierte den deutschen Stummfilm „Das Wachsfigurenkabinett“ mit kurzen Arbeiten der Oberhausener Gruppe. Ein anderes Programm präsentierte zwei indische Filme und zeigte damit schon jene besondere Neugier an, die das Arsenal insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren den asiatischen (und afrikanischen und lateinamerikanischen) Kinematografien entgegenbrachte. Bei aller Vorfreude auf die Entdeckungen, die die nächsten Wochen bereithalten, hätte man doch auch gerne gewusst, was für ein Bild sich das heutige Arsenal selbst vom (Welt-)Kino und dessen Geschichte macht.