Sorgen der Reichen

ENERGIE Erdgasfunde vor der Küste machen Israel unabhängiger etwa von Ägypten. Aber die Förderplattformen und Pipelines sind auch anfällig für Angriffe beispielsweise der Hisbollah

JERUSALEM taz | Israels Energie- und Wasserminister Silvan Schalom weiß schon, wohin mit den Gewinnen aus den Gasquellen vor der Küste Haifas. Ein Naturgasfond nach norwegischem Modell schwebt ihm vor. „Zum Nutzen der Bürger Israels“ will der Energieminister einen Teil der Gasrendite beiseitelegen.

90 Kilometer vom Festland entfernt liegt das Feld Tamar, das rund 240 Milliarden Kubikmeter Erdgas birgt. Das Feld Leviathan, wenige Kilometer westlich von Tamar, hat sogar mehr als 450 Milliarden Kubikmeter Gas. Seit knapp zehn Wochen wird Gas vom Tamar-Feld abgepumpt. 2016 soll auch die Ausbeutung des Leviathans (zu deutsch: Wal) beginnen. Beide Felder zusammen bergen genug des Rohstoffs, um Israel für die kommenden 150 Jahre zu versorgen, so rechnen Wirtschaftsexperten. Möglich ist aber auch der Export.

Die Profite von Tamar, so berichtet die Zeitung Ha’aretz, sollen mit 50 Prozent versteuert werden, die des Leviathan mit rund 60 Prozent. Als „Rettungsseil für Israels Industrie“ bezeichnete der Wirtschaftsjournalist Nehemia Shtrasler von Ha’aretz den Gasfund. Ohne Tamar und Leviathan wäre das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bei 2,8 Prozent geblieben. Doch mit den zu erwartenden Gewinnen steigt die Perspektive auf ein 3,8-prozentiges Wachstum. Shtrasler rechnet mit mehr Arbeitsplätzen und höherem Lebensstandard.

Sicher ist, dass mit Israels Aufstieg zur Gasmacht einige Karten neu gemischt werden. Die neue Unabhängigkeit ist ein wichtiger Faktor für die Sicherheit des Landes, das bislang nahezu komplett auf den Import von Energien angewiesen war. 40 Prozent des Stroms wird schon heute aus Gas produziert, und es soll mehr werden. Israel ist gewappnet für den Fall, dass in Krisen Rohstofflieferungen ausfallen. Bis zur Arabellion deckte das Land 40 Prozent des landesweiten Gasverbrauchs mit Importen aus Äygypten. Das Ausbleiben des nachbarlichen Gases führte zu Preissteigerungen und Energiekrisen.

Die derzeit diskutierte Möglichkeit eines Exports könnte den Wettbewerb vor allem auf dem europäischen Markt ankurbeln. Knapp ein Drittel der deutschen Gasimporte stammen von russischen Feldern. Algerien hat als Ausweichpartner spätestens mit dem Geiseldrama vor drei Monaten an Attraktivität eingebüßt. Israel käme der EU als Gaslieferant also gerade recht.

Zwar ist noch offen, ob überhaupt exportiert werden soll, doch schon jetzt gehen die Israelis auf Tuchfühlung mit Zypern, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu evaluieren. Die gemeinsame Entwicklung von Anlagen zur Verflüssigung des Gases ist im Gespräch und eine Pipeline. Denkbar wäre auch der Export via Türkei, wenn die seit drei Jahren kriselnden Beziehungen wieder stabiler sind. Die beiden Staaten verhandeln derzeit über Wiedergutmachungszahlungen für die Opfer der „Mavi Marmara“. Auf dem türkischen Passagierschiff waren bei seiner Erstürmung durch israelische Soldaten im Mai 2010 neun Menschen ums Leben gekommen.

Was den Israelis indes Kopfschmerzen bereitet, ist die Verletzbarkeit der Pipelines und überhaupt der gesamten Anlage. Die libanesischen Extremisten der Hisbollah wären rüstungstechnisch in der Lage, einen Angriff vom Wasser oder aus der Luft zu lancieren. Israels Marine meldet schon jetzt Bedarf an einer Aufstockung des Sicherheitsapparates an. Neue Schiffe seien nötig, um die riesigen Gasfelder zu bewachen. Unklar ist zudem der Grenzverlauf zwischen Israel und dem Libanon jenseits der Küste. 850 Quadratkilometer sind in Ermangelung einer maritimen Demarkationslinie bis heute umstritten. Die beiden Gasfelder Tamar und Leviathan liegen günstigerweise deutlich südlich davon. SUSANNE KNAUL