Bunte Bälle im Setzbaukasten

Deborah Colkers Tanzperformance „Maracanã“ auf Kampnagel enttäuscht durch uninspirierte Choreographie

Einen heiligen Hort des Weltfußballs in ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro hat Brasiliens Starchoreographin Deborah Colker als Namensgeber für ihr Stück gewählt, das der kämpferischen Leidenschaft des Rasensports im Tanz Beine machen, wenn nicht gar Flügel verleihen sollte: Das legendäre Stadion „Maracanã“. Schließlich gab die Uraufführung des größten und teuersten je auf Kampnagel produzierten Stücks den Anstoß für die Tanz- und Performanceprojekte innerhalb des offiziellen Kulturprogramms zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit auch außerhalb einer eingeschworenen Tanzgemeinde. Umso bedauerlicher allerdings fiel das Ergebnis aus.

Unbestritten gilt Deborah Colker als erste Wahl, ein solches Spektakel auf die Bühne zu stellen. Unvergessen sind die atemberaubenden Höhenflüge, die ihre akrobatisch versierte und überaus sympathische Tänzertruppe mit Phantasie und Tempo in spektakulären und dazu poetischen Stücken wie Rota oder Casa bei gefeierten Gastpielen in der Hansestadt bereits gezeigt haben.

Spektakulär könnte auch Maracanã sein. Zumindest hat Colkers Bühnenbildner und langjähriger künstlerischer Partner Gringo Cardia einmal mehr die Voraussetzungen dafür geschaffen. Das Spielfeld auf dem Bühnenboden läuft um 90 Grad gekippt in eine vertikale Steilwand. Zwei bewegliche Tore, rauschende Stoffbahnen und viele bunte Bälle hat sein Setzbaukasten zu bieten, mit denen sich herrlich spielen ließe.

Vielversprechend ist der Anfang – wenn die 16-köpfige Mannschaft ganz in schwarz gekleidet mit dem Rücken zum Publikum in stiller Meditation den Mittelkreis an der Rückwand anbetet, den Einzelne von ihnen bald an Seilen schwebend schwerelos umdribbeln werden. Eine rot bestrumpfte Ballerina hat die Stollen gegen Spitzenschuhe zur virtuosen Fußarbeit getauscht. Freudensprünge im Fluggeschirr mit Abstoß von der Vertikalen lässt die Tänzer für Momente in der Luft verharren wie einen Fallschirmspringer vor dem Ziehen der Reißleine. Und wenn drei Spielerinnen geschmeidig ihre Körper am Boden über Bälle rollen lassen, kommt für Augenblicke Colkers unvergleichliche Sinnlichkeit zum Zuge. Ein Tänzer erweist sich als wahrer Ballzauberer, der diesem brasilianisch-deutschen Tanzmatch alle Ehre macht.

Doch bleiben diese Einlagen singuläre Glanzlichter in einer über weite Strecken uninspirierten Choreographie, die in belanglosen Modern Dance Variationen unmotiviert auf der Stelle tritt. Keine Dynamik, kein Druck. Zugedröhnt von einer Musikcollage, die mögliche Musikalität und Rhythmus im Keim erstickt.

Zugegeben: Es ist nicht einfach, eine seit dreizehn Jahren eingespielte Compagnie um der Zugeständnisse an ein Auftragswerk willen durch spürbar unerfahrene sechs deutsche Tänzer aufzufüllen und daraus in zwei Monaten ein funktionierendes Team zu formen. Doch es fehlt hier grundsätzlich eine greifbare Idee. Marga Wolff

weitere Vorstellungen: täglich bis 5. 2., jeweils 20 Uhr, Kampnagel