Schienenschweißen in der Nacht

„Auf der Greifswalder Straße“ im Deutschen Theater: Das Anekdotengepurzel zerstört den poetischen Fluss

Bauarbeiter in der Nacht: Sie stehen gedankenverloren still, essen, trinken und halten die Müdigkeit in großen Schlucken nieder. Ihre Schatten tanzen im Licht des Schweißgerätes, mit denen einer von ihnen die Straßenbahnschiene bearbeitet. Der Kassettenrekorder spielt, und der Schweißer singt mit. Es sind merkwürdigerweise diese stillen Szenen, die in Jürgen Goschs Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs „Auf der Greifswalder Straße“ gut funktionieren. Auch dort, wo der Text des Stückes in die dritte Person wechselt und die Zurückgezogenheit des Beobachters miterzählt, findet sich der Zuschauer gut aufgehoben.

Wo aber die Ereignisse unmittelbar vor unseren Augen spielen und das Drama wirklich sehr dramatisch wird, stößt einen die Anstrengung des Theaterspielens zurück. Die Schauspieler, die in den Nebenrollen eben noch mit ihren Figuren verschmolzen, finden in den Hauptrollen den Ton und die Lautstärke nicht – und die Figuren bleiben vor ihnen stehen wie ein schlecht genähtes Kostüm.

Das ist sehr schade, denn die Geschichten der „Greifswalder Straße“ sind aufregend. Erzählt wird von vier jungen Freundinnen, die im Lauf von 24 Stunden alle an einen außergewöhnlichen Wendepunkt ihres Lebens geraten. Ungeheuerliche Verwandlungen stehen an, ein Mädchen wird zu einem bluttriefenden Tier, eins zur Mörderin. Viele der Szenen lassen sich als Übersetzungen des Unvermögens lesen, die eigenen Wünsche und die Endlichkeit des eigenen Lebens zu begreifen oder das eigene Sterben zu denken. Verortet wird das alles, durch den sprachlichen Gestus der Figuren, an sehr konkreten irdischen Orten: der Supermarktkasse, der Baustelle, dem Weg von der Arbeit nach Hause.

Diese Spannung zwischen der genauen sozialen Kontur der Figuren und dem ins Surreale gesteigerten Ausdruck ihrer Konflikte ins Verhältnis zu setzen schafft die Inszenierung nicht. Ständig begleitet einen der Eindruck, die 11 Schauspieler seien von den 50 Rollen des Stückes überfordert. Das Schauspiel schlägt in Aktionismus um, die vielen Auf- und Abtritte, Kostüm- und Rollenwechsel auf offener Bühne stellen das Theaterspielen zwar als solches aus, durchaus auch mit Selbstironie. Aber es entsteht auch eine atemlose Hektik, ein Hang zum albernen Überzeichnen, der dem Fluss der Szenen und ihrer musikalischen Komposition nicht gut bekommt.

Vor allem die Überdrehtheit und aufgesetzte Zickigkeit, mit der die Schauspielerinnen die jungen Frauen zeichnen müssen, nervt. Mit jeder Kaugummiblase steigt ein Hauch von Anbiederung an ein pubertierendes Publikum auf, die an diesem Haus ziemlich unangebracht ist. Dabei lassen Aylin Esener, Katharina Lorenz, Kathrin Wehlisch und Lotte Ohm in einzelnen der 63 Szenen durchaus erkennen, dass sie ihren Figuren ohne großes Getue viel näher kommen könnten. Aber schon ändert sich die Stimmung wieder, als hätte jemand auf einer Fernbedienung den falschen Knopf gedrückt.

Irgendwo war da nicht genug Vertrauen da, ob die Konstruktion des Stücks auch trägt; zu oft mischt sich der Wille zur Unterhaltung aufdringlich ein. Das ist erstaunlich für den erfahrenen Regisseur Jürgen Gosch, der in diesem Winter schon zwei Tschechows in Hamburg und Zürich herausgebracht hat, die gerade für ihren offenen Umgang mit den Mitteln des Theaters gelobt wurden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Im Deutschen Theater wieder am1. Februar