sex und kohlrabi rund um die uhr von RALF SOTSCHECK
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Wer geht eigentlich nachts um drei zum Einkaufen in den Supermarkt? In Dublin haben neuerdings verschiedene Filialen einer großen englischen Kette rund um die Uhr geöffnet, auch an den Wochenenden. Da ich am Samstag ausgeschlafen habe, bin ich spät nachts noch munter und beschließe, Lebensmittel einzukaufen. Der riesige Parkplatz ist gähnend leer. Der gähnende Angestellte einer Sicherheitsfirma, der die einkaufsunfähige, weil volltrunkene Kundschaft fernhalten soll, lässt mich hinein ins nächtliche Shopping-Paradies. Die Angestellten, die Regale auffüllen, sind eindeutig in der Überzahl. Und das Alkoholregal ist pietätvoll verhängt, denn um diese Zeit sind Bier und Wein absolut tabu.

Ob er nachts nichts Besseres vorhabe, als Kohlrabi auszupacken, frage ich einen pickligen jungen Mann, der Fred heißt, wie sein Namensschildchen am Revers verrät. Nein, antwortet Fred, was solle er denn sonst machen? Am liebsten hätte er mit der Gegenfrage geantwortet, ob ich nachts nichts Besseres vorhabe, als Kohlrabi einzukaufen. Aber er ist aus lauter Langeweile zu einem Schwätzchen aufgelegt.

Sein Vetter Tony sei nach London ausgewandert, erzählt er, und arbeite dort ebenfalls in einem Supermarkt. „Die hatten auch mal 24 Stunden sieben Tage die Woche geöffnet“, sagt Fred, „aber das ging nur sechs Wochen gut. Jetzt machen sie wieder um Mitternacht dicht.“ Was ist passiert? „Nun ja“, druckst er herum, „es wurde auch anderes verkauft als Lebensmittel.“ Etwa Drogen, womöglich gar Alkohol? „Nein“, sagt er, „noch verbotener: Sex.“

Nach Mitternacht seien die Damen der Nacht in den Budgens-Supermarkt in Nordlondon gekommen und haben nach allein einkaufenden Herren Ausschau gehalten. „Die haben sie dann angesprochen und ein Nümmerchen im Gegenzug für die Einkäufe angeboten“, sagt Fred. Geschlechtsverkehr gegen Kohlrabi? Er wisse nicht, ob die Damen eine Einkaufsliste dabei hatten oder mit dem Vorlieb nahmen, was bereits im Korb war, sagt Fred.

Warentauschgeschäfte sind ein uraltes Prinzip. So schlagen die Frauen zwei Fliegen mit einer Klappe und können am nächsten Tag ausschlafen. Aber der Engländer an sich ist eigentlich ein zurückhaltendes Volk. Welcher englische Mann traut sich schon, im Supermarkt mit einer Prostituierten zur Kasse zu marschieren? Manchmal haben Kunden sogar gefragt, ob sie die Toilette für die Angestellten benutzen dürfen, erzählt Fred. „Das hat der Manager natürlich abgelehnt“, erklärt er, und man sieht ihm an, dass er über dieses Ansinnen empört ist.

Ich werfe in meinem Dubliner Supermarkt einen Blick den Gang hinunter: ein Mann im Anzug, der aussieht, als ob er gerade aus dem Büro kommt; ein etwas unordentlicher Anorakträger, der vermutlich aus der Kneipe kommt; und ein älterer Herr, den die Schlaflosigkeit wohl aus dem Bett getrieben hat. Keine einzige Frau im Laden. Hat ihnen die Sicherheitsfirma sicherheitshalber den Zutritt verwehrt? „Bei Budgens hatten sie auch eine Einlasskontrolle“, sagt Fred, „aber so wie die Mädels heutzutage gekleidet sind, weiß man doch gar nicht mehr Bescheid.“ Nun ist mir klar, warum Fred nachts nichts Besseres zu tun hat, als Kohlrabi auszupacken.