„Den Herstellern fehlt der Mumm“

SCHOKOLADE Noch immer ist fair gehandelte Schokolade nicht mehr als ein Nischenprodukt – jedenfalls in Deutschland. In anderen Ländern wurde durch Kampagnen mehr Druck auf die Anbieter ausgeübt

■ Der Weltladen-Dachverband und Naturland haben zu Beginn dieses Jahres die gemeinsame Kampagne „Öko + Fair ernährt mehr!“ gestartet, die den Beitrag von ökologischer Landwirtschaft und Fairem Handel zur Ernährungssicherheit stärker ins Bewusstsein rücken will. Weltweit hungern eine Milliarde Menschen. Trotz technischer Innovation steigen die Ernteerträge nicht weiter an, sondern sinken aufgrund zunehmender Bodendegradierung und infolge des Klimawandels. Zu Beginn der Kampagne ist eine Studie erscheinen, die die Wirkung der Kombination von Bio & Fair belegt: Gerade in tropischen Regionen sei das Potenzial enorm.

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Auf die Frage, warum der Verkauf fair gehandelter Schokolade hierzulande nicht richtig in die Gänge kommt, hat Claudia Brück eine einfache Antwort: „Den deutschen Herstellern fehlt der Mumm“, sagt die Pressesprecherin von TransFair, dem Verein, der das Siegel für fair gehandelte Produkte vergibt. Verhandlungen mit großen Unternehmen seien bislang ohne Erfolg geblieben. Nur die Lebensmittelkette Lidl vertreibt ihre faire Eigenmarke Fairglobe, daneben gibt es die Produkte der Dritte-Welt-Handelsgesellschaft Gepa und des Naturkostherstellers Naturata. Der Marktanteil fair gehandelter Schokolade in Deutschland liegt bei 1 Prozent – ein Nischenprodukt.

Dass es anders geht, zeigt Großbritannien. Im letzten Jahr stellte dort das Traditionsunternehmen Cadbury seinen meistverkauften Schokoriegel „Dairy Milk“ auf fair gehandelten Kakao um. Der Anteil fair gehandelter Schokolade stieg im Vereinigten Königreich von 3 auf 15 Prozent. Die veränderte Firmenpolitik bewarb der Hersteller mit einem immensen Aufwand und setzte die Konkurrenz dadurch unter Zugzwang. Im Dezember folgte Nestlé, „Kit Kat“ gibt es seitdem mit dem Fairtrade-Siegel.

Wohlgemerkt, nur den britischen Kit Kat. In Deutschland zögert Nestlé: „Jeder Markt ist aufgerufen, seinen eigenen Weg zu gehen. Eine Eins-zu-eins-Übertragung von Großbritannien auf Deutschland wird es vorerst nicht geben“, so Firmensprecher Alexander Antonoff. Nestlé denke über eine veränderte Einkaufspolitik nach, es sei aber offen, wie und wann diese umgesetzt werde.

In Großbritannien ging der veränderten Firmenpolitik von Cadbury und Nestlé eine längere Kampagne von Fairtrade-Gruppen voraus. In Deutschland ist Schokolade eher ein Stiefkind der Fairtrade-Bewegung, die sich bislang vor allem auf Kaffee oder Bananen konzentriert hat. „Die hiesigen Hersteller sagen, für eine Umstellung sei die Marktakzeptanz nicht da. Auf Deutsch: Sie haben noch nicht genug Druck“, glaubt Friedel Hütz-Adams von der Nichtregierungsorganisation Südwind. Hütz-Adams hat 2009 für das Bistum Aachen die Studie „Die dunklen Seiten der Schokolade“ erstellt. Darin zieht er eine bittere Bilanz des letzten Jahrzehnts für die Kakaobauern und die auf vielen Plantagen beschäftigten Kinder.

Um den Jahreswechsel 2000/2001 schien eine dauerhafte Verbesserung ihrer Lage in Sicht: Berichte über Kinderarbeit gingen weltweit durch die Medien, Boykottaufrufe drohten. In den USA bereiteten Senator Tom Harkin und der Kongressabgeordnete Elliot Engel ein Gesetz über Importverbote bis zur Beseitigung der Missstände vor. Doch dann reagierte die Schokoladenindustrie mit einer Lobbykampagne, aus dem geplanten Gesetz wurde ein freiwilliges Abkommen, das „Harkin-Engel-Protokoll“. Die schlimmsten Formen der Kinderarbeit sollten beendet, bis 2005 Standards für eine Zertifizierung entwickelt werden. Diese Frist wurde inzwischen zum zweiten Mal verlängert, bis 2011 – zehn Jahre nach dem Abkommen.

Hütz-Adams hält das Protokoll ohnehin für unzureichend. Es sei fast ausschließlich auf das Thema Kinderarbeit beschränkt, noch dazu, ohne deren Ursachen zu bekämpfen: „Nirgendwo wird auf die Frage eingegangen, ob höhere Kakaopreise die Lebenssituation der Bauern verbessern und die Kinderarbeit senken könnten“, schreibt er. Kakaobauern etwa in Ghana begründeten die Beschäftigung von Kindern damit, dass erwachsene Arbeitskräfte zu teuer seien.

Die hiesigen Hersteller sagen, für eine Umstellung sei die Marktakzeptanz nicht da

Verbindliche Mindestpreise, wie sie der Faire Handel vorsieht, lehnen die meisten großen Schokoladenproduzenten jedoch ab. Statt auf das TransFair-Siegel setzen Firmen wie Mars auf ein besseres Image durch das Siegel der Rainforest Alliance, das Kritiker gerne auch als „Fairtrade light“ bezeichnen: Mindestpreise sind dort nicht vorgesehen.

Mit einer gewissen Sorge blickt TransFair daher nach Großbritannien, seit Cadbury Anfang Februar vom US-amerikanischen Konzern Kraft übernommen wurde. Kraft arbeitet bislang mit der Rainforest Alliance zusammen. Bei einigen deutschen Schokoladenherstellern dürfte man nun darauf hoffen, dass Cadbury seine Fairtrade-Verpflichtung früher oder später beendet. Die Vorbildwirkung für den deutschen Markt wäre dahin. MARTIN REEH