„Ich wurde nicht informiert“

TAKTIK Verteidigungsminister Thomas de Maizière legt dem Verteidigungsausschuss ein Meisterwerk der Schuldzuweisung vor

Genehmigung: In Italien haben die Drohnen der Serie Global Hawk schon einen sicheren Hafen gefunden. Völlig geräuschlos wurden sie seit 2010 auf der von den USA und der Nato genutzten Luftwaffenbasis Sigonella vor den Toren von Catania auf Sizilien stationiert. Sie dürfen sogar fliegen, aber nur im Mittelmeerraum.

Sperrung: Die italienischen Behörden haben den USA eine Fluggenehmigung ausgestellt, sodass die Drohnen die Gefechte in Libyen während des Krieges überwachten. 5 weitere der Großdrohnen sollen in den nächsten Monaten nach Sigonella kommen, am Ende könnten es 20 sein. Bei jedem Start und jeder Landung muss der Luftraum weiträumig gesperrt werden, so dass der zivile Flugverkehr vom nahen Flughafen Catania erheblich beeinträchtigt ist. Beschwert hat sich deswegen bislang niemand.

Mobilisierung: Anstoß erregt bei den Menschen auf Sizilien allein die Radar- und Steuerungsanlage MUOS (Mobile User Objective System), die 70 Kilometer südwestlich von Sigonella errichtet wird. Zwei 140 Meter hohe Antennentürme, dazu zwei Parabolantennen von je 18 Meter Durchmesser sollen für die Steuerung der Drohnen zum Einsatz kommen. Zahlreiche Initiativen mobilisieren zu Demonstrationen – allerdings nicht wegen der Drohnen, sondern wegen des möglicherweise gesundheitsgefährdenden Elektrosmogs der Hochleistungsanlage. Im März 2013 zog die sizilianische Regionalregierung deshalb die Baugenehmigung zurück. Vor dem Verwaltungsgericht Sizilien hat das Verteidigungsministerium Widerspruch dagegen eingelegt. MICHAEL BRAUN

VON ULRIKE WINKELMANN

BERLIN taz | Thomas de Maizière wusste nicht Bescheid. Seine Staatssekretäre haben ihm nicht rechtzeitig gesagt, dass die Aufklärungsdrohne nicht fliegt. Das macht aber nichts, denn die Entscheidung, sie nicht zu kaufen, kam genau richtig. Ab sofort wird der Minister regelmäßig informiert, wenn ein teures Gerät nicht funktioniert.

So weit die Kurzfassung dessen, womit der Verteidigungsminister den Tag der Aufklärung, den gestrigen Mittwoch, bestritt. Seit drei Wochen überschlugen sich die Mutmaßungen, durchsetzt mit Rücktrittsforderungen. Denn: De Maizière, der seit Langem überall für Drohnen aller Art wirbt, stornierte Mitte Mai den Kauf des Euro Hawk. Dieses unbemannte Fluggerät, eben noch gefeierte Zukunftstechnologie für Datensammlung am Himmel, sollte sich fünf Jahre nach Vertragsabschluss als nicht zulassungsfähig erweisen? 600 Millionen Euro sind auf der Linie. Wie das?

Dem Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des Bundestags legte der Minister nun einen 80-seitigen Bericht seines Hauses vor und brach sein Schweigen. Er verteilte dabei die Schuld an dem rüstungspolitischen Skandal über viele Köpfe, angefangen bei den Verteidigungspolitikern der früheren rot-grünen Koalition. Diese fassten unter dem SPD-Minister Rudolf Scharping 2001 den Plan, die Drohne aus US-amerikanischer Herstellung mit Überwachungstechnik des europäischen Rüstungskonzerns EADS zu bestücken.

In weiten Teilen stimmten de Maizières Aussagen gestern und sein Bericht mit der Darstellung des Bundesrechnungshofs überein, die am Dienstag bekannt geworden war. So gilt es nun als „Geburtsfehler“ (de Maizière) des Euro Hawk, dass die Bundeswehr und der US-Drohnenbauer Northrop Grumman jahrelang aneinander vorbeigeredet haben müssen, was die Zulassungsfähigkeit zum zivilen deutschen Luftraum anging.

Von „unterschiedlichen Philosophien“ ist die Rede – das Zulassungsverfahren in den USA ist unbürokratischer, der Luftraum weniger eng. Wahrscheinlich spielte auch unberechtigtes Vertrauen in Weltkonzerne eine Rolle, legt der Rechnungshof nahe.

Die Querelen gingen über den Vertragsschluss 2007 hinaus bis in die Ära der CDU/CSU/FDP-Koalition. Der Rechnungshof betont, dass 2009, „spätestens im Jahr 2011“ eine einschneidende Entscheidung hätte kommen müssen. Der Bericht von de Maizière hebt dagegen darauf ab, dass die Fachabteilung bis 2012 davon ausging, die Probleme ließen sich lösen.

Demnach wurden die beamteten Staatssekretäre im Verteidigungsministerium Rüdiger Wolf und Stéphane Beemelmans und somit die Leitung des Ministeriums erst Ende 2012 informiert: Nach den Erfahrungen mit dem Prototyp sei eine Beschaffung der vier weiteren Euro Hawks „nicht mehr weiter zu verfolgen“, heißt es im Ministeriumsbericht. Dann zogen die beiden die Bremse – mit einer entscheidenden Bedingung: Die Überwachungstechnik von EADS namens Isis sollte noch bis September 2013 zu Ende erprobt werden.

Am (heutigen) Donnerstag, so erklärte de Maizière, werde es zum Beispiel einen weiteren Probeflug des Prototypen im bayerischen Manching geben. Denn das Aufklärungssystem Isis müsse schließlich fertig entwickelt werden – es sei „eines der besten seiner Art“.

Die Entwicklung der Überwachungstechnik ist in dieser Darstellung zum eigentlichen Zweck der Aktion Euro Hawk geworden. Ein Abbruch des Drohnen-Abenteuers zu jedem früheren Zeitpunkt hätte sie gefährdet. In den Rechnungen des Ministeriums ist sogar der größere Teil der ausgegebenen 550 Millionen Euro für Isis und nicht etwa für den Flieger verwendet worden. Das System dürfte als Nächstes in ein normales Flugzeug, vermutlich einen Airbus ebenfalls aus dem Hause EADS, eingebaut werden.

Der Bericht von de Maizière zeichnet das Bild eines sich auflösenden Knotens: Wie gut, dass die deutsche Überwachungstechnik „innerhalb des bisher für die Euro Hawk Serie geplanten Kostenrahmens mit beherrschbarem Risiko möglich ist“.

Während sein Bericht – erstellt von einem 40-köpfigen Team im Ministerium – sich Mühe gibt, Schuld auf mittlere Ebenen, Amerikaner und sonstige ferne Stellen zu verteilen, stellte de Maizière seinen unmittelbaren Zuarbeitern am Mittwoch Schelte oder Rauswurf in Aussicht. Dass die Staatssekretäre die Entscheidung unter sich ausgemacht hätten, entspreche zwar einer gelebten – schlechten – Tradition des Ministeriums. „Gleichwohl ist sie nicht in Ordnung“, sagte er. „Ich bedaure das. Ich hätte früher das Haus so ordnen müssen, dass ich als Minister beteiligt werde.“ Doch er habe erst am 13. Mai alles erfahren. Er behalte sich personelle Konsequenzen vor.

Weiter in der Selbstbelastung ging de Maizière aber nicht. Ein klein wenig ins Zögern kam er auf eine Nachfrage: Ob er sich nicht hätte informieren müssen, wie es dem Euro Hawk geht, als er im Frühjahr 2012 vor der Nato für die Beschaffung der Global-Hawk-Drohnen warb? Dieses Drohnenprojekt ist eng verwandt und für Deutschland ebenso teuer. Nun, sagte er: „In den dafür vorbereiteten Unterlagen wurde ich nicht informiert.“

Was er nicht weiß, dafür muss er nicht geradestehen. Auch eine ministerielle Haltung. Nur eben nicht diejenige, die de Maizière noch vor kurzer Zeit selbst gebilligt hätte.