„Das Vertrauensverhältnis leidet“

Aus pädagogischer Sicht ist eine von Lehrern beaufsichtigte Deutschpflicht auf dem Schulhof falsch, findet Gerhard Schöll von der Reformeinrichtung Bodenseeschule

taz: Herr Schöll, würden Sie Ihre Lehrer losschicken, um die Sprache der Schüler auf dem Schulhof zu kontrollieren?

Gerhard Schöll: Nein. Das würde ich nicht tun. Wenn die Schüler auf dem Hof unter sich Gespräche führen, geht das die Lehrer erst einmal nichts an. Natürlich sollten auch in der Pause einige Regeln gelten – aber keine einheitliche Sprachvorschrift.

Wirkt sich eine solche Schnüffelei auf die Lernatmosphäre aus?

Ja, natürlich. Das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler leidet, wenn sich die Schüler bespitzelt fühlen. Das ist zwar sicher nicht die Absicht dieser Regelung, aber der kritische Punkt daran. Eigentlich müsste man bei der Schulgemeinschaft ansetzen. Die sollte sich darauf einigen, dass sich jeder so unterhalten muss, dass jeder mitreden kann.

Genau das haben Schüler, Eltern und Lehrer an der Berliner Herbert-Hoover-Schule getan. Dann haben sie es in die Hausordnung geschrieben.

Das gehört nicht in die Hausordnung der Schule, denn die zu befolgen, ist nicht freiwillig. So etwas muss in einer gemeinsamen Absichtserklärung formuliert werden, die Eltern, Schüler und Lehrer unterschreiben. Wir müssen diese Gruppen zusammenbringen und die Eltern miteinbeziehen. Eine gemeinsame Sprache sollte schon im Elternhaus gefördert werden.

Gibt es einen Unterschied zwischen Klasse und Schulhof?

Den gibt es. Im Unterricht wird jeder akzeptieren, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Davon profitieren ja alle. Wenn sich aber in der Pause eine Gruppe mit gemeinsamer Muttersprache unterhält, dann sollten sie das tun dürfen. Die Pause und der Umgang mit Freunden gehört zum Privatbereich.

Gibt es an Ihrer Schule Regeln und Pflichten, auch außerhalb des Unterrichts?

Wir haben natürlich Regeln, wie man sich auf dem Schulgelände benimmt. Bei uns soll sich jeder Schüler auf dem Schulgelände so verhalten, dass er die anderen achtet und respektiert. Das ist für mich kein Eingriff in die Privatsphäre, denn die hört da auf, wo ich einen anderen störe oder belästige. So viel kann man schon von den Schülern verlangen, auch in der Freizeit. Aber wir bemühen uns, unseren Schülern generell nicht nachzuspionieren. Wenn wir Verstöße bemerken, sprechen wir erst einmal mit dem Schüler oder der Schülerin. Sie sollen spüren: Wenn ich mich an die Regeln halte, profitiere ich auch selbst davon.

Welchen Nutzen hat die Deutschpflicht auf dem Hof?

Vielleicht war diese Aktion eine Art Testballon, um auf Missstände an den Schulen aufmerksam zu machen. Auch die betroffenen Schulleiter wissen sicher, dass diese Regel nicht die Deutschkenntnisse verbessern wird. Und sie befinden sich in bester Gesellschaft, wenn sie auf die Probleme aufmerksam machen. Seit Pisa wird ja gefordert, dass die Sprachförderung schon viel früher beginnen muss. Ich kann mir denken, dass die Kultusbehörde in Berlin genau das nicht ausreichend gewährleistet. INTERVIEW:
KERSTIN SPECKNER