berliner szenen In der Staatsbibliothek

Meditativ baggern

Ich stehe vor der zweimannshohen Scheibe im Foyer der Staatsbibliothek und blicke auf gefrorenen Matsch. In der Kälte draußen wird ein riesiges Loch kräftig bebaggert – noch ist der neue Lesesaal eine gigantische Brache, umrahmt von vier eingerüsteten Hauswänden. Vom Fenster aus blicke ich auf ein monströses Gitter aus Rohren, unter denen drei verschieden große Geräte der Firma Caterpillar unablässig braunen Dreck von links nach rechts schieben. Das sieht sehr willkürlich aus, aber die können sich das wohl leisten, denke ich. Schließlich hat die Baustelle eine eigene Internetadresse: Hinter mir hängt ein Transparent, da steht sie drauf. Sogar eine Webcam ist installiert und die besten Baggerbilder des Tages stehen abends zum Abruf bereit.

Plötzlich begreife ich, dass die Maschinen zusammenarbeiten: Die Raupe drückt einen Erdberg zum ersten Bagger, der ihn auf einen Hügel häuft. Eine Ebene über dem Loch steht ein zweiter Bagger, der den Hügel wieder abträgt, jede Schaufel geht auf die Ladefläche eines Lasters. Den bemerke ich erst jetzt und freue mich auf einmal über so viel organisatorische Raffinesse.

Aus meiner Erkenntnistrance reißt mich plötzlich ein Männchen, das neben mich tritt. Es hat einen Kranz dunkle Haare um die von Altersflecken gepunktete Glatze und ebenso dunkle Stoppeln, die ihm aus den Ohren wachsen. Ich stehe hier wohl schon seit zehn Minuten und will mich rechtfertigen: „Das ist irgendwie meditativ.“

Das Männchen sieht mich freundlich von der Seite an. „Sind Sie Buddhist?“, fragt es hoffnungsvoll. „Nein“, antworte ich zögernd, „Student.“ Es nickt und brummt verstehend, und wir blicken gemeinsam auf das sehr schön durchdachte Schaufeln.HANNES BAJOHR