Fußball ist Fußball ist Fußball, oder?

KONFLIKT Die U21-EM wird auch als Plattform des Protests gegen die Palästinenser-Politik Israels genutzt. Einige Sportfunktionäre möchten davon nichts wissen, andere wollen sich als Heilsbringer profilieren

„Wir werden helfen. Das ist kein Versprechen, es ist unser Wille. Und wo ein Wille ist, da ist ein Weg“

SEPP BLATTER, FIFA-CHEF UND WELTPROBLEMLÖSER

TEL AVIV taz | Irgendwann musste sie kommen, diese Frage: „Bekommen Sie eigentlich was von der Situation der Palästinenser im Fußball mit?“ Sebastian Rode, der Frankfurter Mittelfeldspieler, zögerte einen Augenblick. Und dann sagte er: Nein, davon bekomme er nur mit, was man ganz generell im Fernsehen sehe, aus den Nachrichten, die Bilder aus dem Gaza-Streifen. Aber was da detailliert vor sich gehe, das wisse er nicht, dazu könne er sich nicht äußern.

Woher sollte er das auch können? Vor zweieinhalb Wochen, beim Uefa-Kongress in London vor dem Champions-League-Finale, da fanden sich etliche Demonstranten ein und machten auf die Situation der Palästinenser aufmerksam. Einige forderten die Absage des Turniers, andere waren deutlich moderater. Und nur den allerwenigsten Fußballfans in London war wohl überhaupt bewusst, dass es eine eigenständige Nationalmannschaft gibt. Auch dass es Araber mit israelischem Pass gibt, die für das U21-Nationalteam starten, dürfte den einen oder anderen überrascht haben.

Parallel zur Demonstration in London veröffentlichten Prominente einen offenen Brief in der englischen Tageszeitung The Guardian: Desmond Tutu, der ehemalige Erzbischof von Kapstadt, der großen Anteil am Fall des Apartheid-Regimes in Südafrika hatte, und der englische Regisseur Ken Loach gehörten zu den Unterzeichnern, die der Uefa vorwarfen, die Palästinenser-Politik der israelischen Regierung zu ignorieren. Tutu, der Friedensnobelpreisträger, und Loach, Filmer mit sozialkritischer Perspektive. Ihr Protest zeigte Wirkung, die Uefa wurde zu einer Reaktion gezwungen: Gianni Infantino, der Generalsekretär der Uefa, pochte allerdings auf den vermeintlich apolitischen Charakter des Turniers: Die Botschaft, die er aussandte, war klar: Fußball ist Fußball und muss auch Fußball bleiben.

Dabei wollte er ganz offensichtlich die politische Dimension verkennen, die der Fußball in den Palästinensergebieten hat. Ein Spielbetrieb einer gesamtpalästinensischen Liga ist ausgeschlossen – die Westbank und Gaza sind getrennt, Transfers zwischen den beiden Gebieten so gut wie unmöglich. Dabei treten die palästinensischen Fußballer in einem eigenständigen Verband in der Asiengruppe der Fifa bei Qualifikationsturnieren an. 2010 besuchte Sepp Blatter, der Fifa-Chef, die Region. Auch Jacques Rogge, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees, reiste in den Nahen Osten. Das Olympische Komitee der Palästinenser ist beim IOC anerkannt. Zu einer Entspannung sollen ihre Besuche aber nicht beigetragen haben. Jibriol Rajoub, der Chef der palästinensischen Fußballverbandes, erklärt, das Gegenteil sei eingetreten. Die Situation habe sich verschärft, seitdem die beide mächtigsten Sportfunktionäre der Welt in den Nahen Osten reisten: „Es ist schon verrückt, was die Israelis machen. Wir reden hier doch über freien Zugang für Sportler und Funktionäre von außerhalb. Wir wollen endlich Sport treiben wie alle anderen Verbände auch.“

Erst kürzlich warteten zwei Spieler aus Myanmar eine Woche in Jordanien auf die Erlaubnis zur Einreise für ein Junioren-Turnier. Und so holt die Diskussion auch die Fifa ein. Doch anders als Uefa-Funktionär Infantino nutzte Blatter die Gelegenheit, um in seine Lieblingsrolle zu schlüpfen: die des Topdiplomaten ohne Mandat. So verkündete er: „Wir werden helfen. Das ist kein Versprechen, es ist unser Wille. Und wo ein Wille ist, da ist ein Weg.“ Das klingt ambitioniert, doch es wäre ein Fehler, das Verhandlungsgeschick Sepp Blatters zu unterschätzen – und seinen Ehrgeiz, die Fifa als einzig segensreiche Kraft des Weltsports darzustellen. Von deutscher Seite gab es keine offizielle Stellungnahme. Der DFB verwaltet das Erbe Theo Zwanzigers, der als Verbandschef einen intensiven Austausch mit dem israelischen Verband etablierte. STEFAN OSTERHAUS