Kasernierte Langweiler

Tunesien, trainiert vom Franzosen Roger Lemerre, gilt bei der Fußball-Weltmeisterschaft als aussichtsreichster Vertreter des Kontinents – auch nach dem 0:3 gegen Guinea beim Afrika-Cup

AUS ALEXANDRIA OKE GÖTTLICH

Roger Lemerre versteht viel von der alten Schule des Fußballs. Ob er deshalb in Frankreich trotz des EM-Titel-Gewinns recht zügig entlassen wurde, kann Tunesien schnuppe sein. Dort führt er seit mehr als zwei Jahren ein Team in die Spitze des Kontinents, der fußballerisch den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren scheint.

Einzig Tunesien scheint angesichts der moderaten WM-Gruppe mit Saudi-Arabien, Spanien und der Ukraine Chancen zu besitzen, die zweite Runde zu erreichen. Um an dieses Ziel zu gelangen, herrscht in dem nordafrikanischen Land die harte Hand des Militärweltmeistercoachs von 1995. Lemerre disziplinierte sowohl Team als auch Verband, sodass der Titelverteidiger des Afrika-Cups auch in Ägypten den Pokal holen will. „Wir sind hier, um unseren Titel zu verteidigen“, sagt Lemerre, bevor er gegen Pablo Thiams Team Guinea mit 3:0 das letzte Gruppenspiel verlor. Auch in der Qualifikation unterlag man bereits dem „am europäischsten spielenden Team des Kontinents“, wie Roger Lemerre findet. Nun darf das Überraschungsteam der Gruppe C, Guinea, gegen den Zweiten der Gruppe D antreten.

Ein Vorteil, den sich eigentlich Tunesien sichern wollte, zumal damit der Verbleib in Alexandria verbunden ist. 100 Kilometer von der ägyptischen Stadt entfernt hat Lemerre das tunesische Lager aufgeschlagen, von dem behauptet wird, es sei mehr Kaserne als Hotel. Kontakt vermeiden heißt die von Lemerre propagierte Parole. Nicht mal zum Essen verlassen die Spieler die Etage. Nun muss Lemerre in das nördlich gelegene Port Said umziehen. Mehr ärgert er sich aber über seine Spieler. „Wir haben Charakter vermissen lassen. Auf internationalem Niveau müssen Spieler Anführer sein. Meine waren es heute nicht.“

Immerhin gibt Lemerre sich nach dem Spiel überhaupt die Ehre, zu den Medien zu sprechen. Die Pressekonferenz unmittelbar nach dem 2:2-Remis gegen Marokko, das die Qualifikation zur WM bedeutete, verließ er nach nur zwei Minuten, ohne überhaupt etwas zu sagen. Auf TV-Interviews steht der knorrige Franzose gar nicht. Freunde hat er sich damit in Tunesien nicht gemacht. Doch man respektiert den Franzosen wegen seiner Erfolge. Im Jahr 2004 führte er das kleine nordafrikanische Land erstmals zum Gewinn des Afrika-Cups, und mit der erneuten WM-Qualifikation erfüllte er dem Land einen Traum. Tunesien spielt einen sehr geordneten Fußball, der unter Journalisten unter dem Namen „nordafrikanische Langeweile“ die Runde macht.

Das körperbetonte Spiel erfährt seine herausragenden Momente einzig durch die Genialität eines Brasilianers. Francileudo Dos Santos Silva, geboren in Brasilien, 2003 eingebürgert. Vier Tore erzielte er im bisherigen Turnierverlauf, und Lemerre gerät für seine Verhältnisse ins Schwärmen, wenn er von seinem Stürmer spricht: „Dos Santos ist ein echter Klassespieler.“ In der Abwehr sorgen Außenverteidiger Hatem Trabelsi (Ajax Amsterdam) und Radhi Jaidi (Bolton) für Sicherheit, im Mittelfeld spielen die beiden Nürnberger Jaohar Mnari und Adel Chedli, während im Tor der 40 Jahre alte Veteran Ali Boumnijel steht.

Die inzwischen zahlreich in Europa vertretenen Spieler sowie der „starke Teamgeist“ sind laut Erfolgstrainer Lemerre die große Stärken. „In der Maghreb-Region haben die Nationen durch den französischen Einfluss erheblich gewonnen“, proklamiert er, „viele Länder haben durch die europäische Prägung gewonnen!“

Wie weit man bei einer Weltmeisterschaft kommen kann, wenn der erste Gegner Saudi-Arabien heißt, weiß man in Deutschland sehr genau. Inzwischen auch in Tunesien. Das führt selbst bei Lemerre zu einem Grinsen.