Die Stahlschlacht einigt Frankreich

Die mögliche feindliche Übernahme Arcelors durch Mittal beunruhigt Regierung ebenso wie Gewerkschafter

PARIS taz ■ Die Schlacht um den Stahlkonzern Arcelor hat in Frankreich einen Wirtschaftspatriotismus ausgelöst, der alle Klassenschranken außer Acht lässt: Der rechtsliberale Expräsident Valéry Giscard d’Estaing ruft ebenso wie die linke Gewerkschaft CGT zum „Widerstand“ gegen die Übernahmepläne des indisch-britischen Stahlunternehmers Lakshmi Mittal auf. Und sie sprechen für viele ihrer Landsleute, wenn sie den 18,6-Milliarden-Euro-Deal als „feindliche Übernahme“ einstufen und die französische Regierung und die EU-Kommission um Unterstützung bitten.

Dabei geht es um ein Unternehmen, das schon lange nicht mehr französisch ist: Arcelor ist das Resultat einer Fusion von spanischen, französischen und belgischen Stahlunternehmen. Die Zentrale sitzt in Luxemburg, das Unternehmen operiert weltweit, 86,5 Prozent der Aktien befinden sich in Streubesitz.

Aber: Fast ein Drittel der weltweit 94.000 Arcelor-Beschäftigten – knapp 30.000 Leute – arbeiten in Frankreich. Und aus Frankreich kommt nicht nur der gegenwärtige Unternehmenschef, sondern auch sein Vorgänger Francis Mer. Dieser verließ Arcelor im Jahr 2002, um Wirtschafts- und Finanzminister in Paris zu werden. Auch aus der rechten Regierung ist er zwar inzwischen ausgeschieden. Aber es scheint, als habe sein Nachfolger Thierry Breton mit Mers Posten auch dessen Position geerbt: Er verteidigt Arcelor gegen die Übernahme, als sei es sein eigenes Unternehmen. Nach Bekanntwerden der Pläne erklärte er, er sei „schockiert“ von dem Vorgehen Mittals. Am Montag empfing er den britisch-indischen Konzernchef zu einem Vieraugengespräch.

Mit seiner Skepsis spricht Mer jener Mehrheit der FranzösInnen aus der Seele, die seit Jahren erleben, wie eine Industriebranche nach der anderen in die Hände ausländischer Kapitalgeber wechselt. Und wie dann Produktionsstätten in Frankreich geschlossen werden.

Auch die von der Europäischen Gemeinschaft verordnete Umstrukturierung der Stahlindustrie in den 70er-Jahren ist in schmerzlicher Erinnerung. In einigen der betroffenen Regionen sind bis heute keine dauerhaften neuen Jobs entstanden.

Der Wirtschaftspatriotismus gehört zum Programm von Regierungschef Dominique de Villepin. Letzten Sommer veröffentlichte er eine Liste von elf Branchen, in denen die Regierung „feindliche Übernahmen“ verhindern dürfe. Anlass waren heftige Proteste der Franzosen gegen Pläne des US-Konzerns Pepsicola, das französische Unternehmen Danone aufzukaufen. Auf Villepins Liste stehen allerdings zwar so unterschiedliche Branchen wie Rüstungsproduzenten und Spielkasinos – jedoch weder Nahrungsmittelkonzerne noch Metallbetriebe.

Heute wird Staatspräsident Jacques Chirac den luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker empfangen. Dieser reist anschließend weiter, um den belgischen Regierungschef Guy Verhofstadt und die Chefs der Regionalregierungen Wallonien und Flandern zu treffen. Die französische Spitze will die nationale Aufregung über den Stahl europäisieren. DOROTHEA HAHN