Alte Welt in Auflösung

HINTERGRUND Wieder ein Triumph für schwule und lesbische Bürgerrechtler. Doch auch nach dem Karlsruher Urteil zur Homo-Ehe bleibt einiges zu tun

■ Dafür: Nach jahrelanger Weigerung drückt die Unionsfraktion bei der steuerlichen Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnern nun aufs Tempo. Die Pläne für die Gesetzesänderungen seien „mit überwältigender Mehrheit“ in der Fraktion am Freitagmorgen beschlossen worden, sagte Kauder. Nach Angaben von Teilnehmern stimmten drei Abgeordnete dagegen: Peter Gauweiler, Alois Karl von der CSU und der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß. Es gab eine Enthaltung.

■ Dagegen: Eine völlige Gleichstellung von Ehe und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften werde es für die Unionsfraktion nicht geben, sagt Kauder. „Ich habe unter großem Beifall darauf hingewiesen, dass es für uns die Homoehe nicht gibt.“ Die Union sei auch weiter gegen ein volles Adoptionsrecht für Homopaare. Ähnlich äußerte sich die CSU: Es gebe „überhaupt keinen Grund, über das Karlsruher Urteil noch hinauszugehen und etwa auch Adoptionen für Lebenspartnerschaften freizugeben“, sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. (afp)

VON JAN FEDDERSEN

Unionspolitiker wie Kristina Schröder, Julia Klöckner, Thomas Strobl oder gar Wolfgang Schäuble dürften das Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter am vorigen Donnerstag erwartet haben – vielleicht gar mit klammheimlicher Freude. Hatten sie nicht vehement angeregt, die standesamtliche Trauung Homosexueller, die sogenannte eingetragene Lebenspartnerschaft, ohne Belehrung durch die Grundgesetzhüter mit der klassischen Ehe gleichzustellen?

Finanzminister Wolfgang Schäuble, einer der coolsten Kalkulatoren des politisch Möglichen wie Unmöglichen, muss es sich so ausgerechnet haben: Wenn die Beteiligten in einer Homoehe füreinander in Zeiten der Not aufkommen müssen, dann werden sie diskriminiert, wenn sie die Pflicht zur fürsorgenden Verantwortung nicht auch gleichzeitig steuerrechtlich geltend machen können. So geht das bei heterosexuell getrauten Paaren auch: Das Ehegattensplitting ist seit Ende der 50er Jahre der geltende Ausgleichsmodus unterschiedlicher Einkommenslagen – faktisch ein Instrument, die Geschlechterverhältnisse im Sinne der Hausfrauenehe stabil-patriarchal zu halten.

Die Kollateralschäden

Jetzt muss die Union wieder einmal einer höchstrichterlichen Ermahnung folgen – was beweist: Karlsruhe macht nicht Politik, sondern fordert lediglich Politisches ein, wenn die Politiker auf Regelbedürftiges nur starren, anstatt das Nötige durch die Gesetzgebungsmaschine zu schicken. Das und nur das haben die Verfassungsrichter formuliert: Eine eingetragene Lebenspartnerschaft trägt in sich die gleichen Pflichten wie die Ehe – also muss sie auch in die Gunst der gleichen Rechte kommen. Da das Ehegattensplitting rechtshistorisch nie die Familie, sondern die Ehe fördern sollte, muss es auch für lesbische oder schwule Paare gelten.

Am 14. Juni wird das Gesetz, das dies alles nun endlich klärt, in den Bundestag eingebracht – und Ende Juni soll es beschlossen werden. So schnell zerbröselt wieder eine alte Welt der Union: Wie beim Atomausstieg, beim Mindestlohn, in puncto Multikulti, in der Frauenfrage – nun auch bei der Homoehe. Der Kosmos der Christdemokraten unterscheidet sich inzwischen in jeder Hinsicht von jenem Universum, das die Konservativen bis in die 80er Jahre hinein als gültiges nahmen. Zurück bleiben menschliche Havarien, ideologische Kollateralschäden. Niemand verkörpert sie besser als die Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach oder der CSU-Abgeordnete Norbert Geis.

Sie jammern, geifern und giften: Es nützt nichts. Und könnten sie die Bundesrepublik so moralisch im Zangengriff halten wie einst, es wäre auch keine Hilfe für die Partei. Eine Union, die sich den vormals exklusiv grün-roten Fragen verweigerte, stünde nicht wie in diesen Tagen bei gut 40 Prozent in der Wählergunst, sondern läge irgendwo bei 20 Prozent. Die Welt hat sich verändert, auch die der CDU. Die Premiummarke der Lebensstile heißt nicht mehr „heterosexuell, verheiratet mit Kindern“, sondern „was und wie du willst“.

In der bürgerrechtlichen Szene (nicht allein) der Homosexuellen hat die Karlsruher Entscheidung allenthalben Freude ausgelöst – Volker Beck, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen und Ende der Achtziger Miterfinder einer queeren Politik der Gleichberechtigung, sagte zu Recht, für ihn sei das ein „glücklicher Tag“, als er den Spruch der Grundgesetzinterpreten vernahm. Das alles ist kein Wunder, schließlich hat man, allein aus rechtslogischen Gründen, mit einem solchen Spruch rechnen können. Aber dass der Kampf um rechtliche Anerkennung so fruchtbar sein würde, ja dass die Schwulen- und Lesbenbewegung die erfolgreichste soziale Bewegung der 68er werden würde, lag nicht an den Fantasien der ProtagonistInnen des Projekts „Integration Homosexueller in die Sphäre der klassischen Ehe“.

In allen libertären Ländern blühen die queeren Szenen – ob in Madrid, Kopenhagen, New York, Auckland, Paris oder Amsterdam – bunter denn je

Der Kampf geht weiter

Insofern bleibt noch einiges zu tun. In Schweden etwa wird Ehe seit 2009, ohne geschlechtliche Präzisierung, als Verbindung zweier Menschen verstanden. Wer dort sagt, er oder sie heirate, muss stets mit interessierte Frage rechnen: „Oh, fein. Einen Mann oder eine Frau?“

In Frankreich, Spanien, den Niederlanden, in einigen US-Bundesstaaten oder in Neuseeland ist es nicht oder kaum anders. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP – auf Differenz zur Union gerade im beginnenden Wahlkampf bedacht – fordert, alles, was die Ehe ist, auch auf eingetragene Lebenspartnerschaft zu übertragen. Es ginge einfacher: die eingetragene Lebenspartnerschaft abzuschaffen und das Eherecht zu ändern. Heirat ist eine Angelegenheit zweier Personen, nicht eine von Verschiedengeschlechtlichen. Karlsruhe würde das erlauben, hat es schon 2002 erklärt.

In queerer Hinsicht stellt sich drängender denn je die Frage: Ist das alles nun ein weiterer Schritt in die Homonormativität? Müssen Schwule (und Lesben) jetzt bürgerlich-steril werden, um anerkannt zu werden? Ein Missverständnis: In allen libertären Ländern blühen queere Szenen – ob in Madrid, Kopenhagen, New York, Auckland, Paris oder Amsterdam – bunter denn je. Nach wie vor gilt: Um auf das Recht auf Heirat zu verzichten, muss man es erst einmal haben.