Europa von unten

GIPFEL In Athen diskutieren linke Initiativen aus dem ganzen Kontinent über Perspektiven in der Krise. Eurofrage spaltet die Gemüter

AUS ATHEN EVA VÖLPEL

Zum Abschluss des Alternativengipfels der europäischen linken Bewegungen und Verbände in Athen kommt es am Samstagabend zu einer Fusion der besonderen Art: Die Demonstration der rund 1.500 europäisch bunt zusammengewürfelten Gipfelteilnehmer trifft vor dem griechischen Parlament am Syntagmaplatz auf die Gay-Pride-Parade, die mit Transparenten wie „Athen ist unsere Stadt“ und Parolen gegen die erstarkende neofaschistische griechische Bewegung Goldene Morgenröte für mehr Rechte der Homosexuellen auf den Beinen ist.

So kam letztlich doch ein bisschen mehr Masse zustande. Denn in einem waren sich die Gipfelreisenden einig: Es hätten mehr sein können. Rund 1.500 statt der erwarteten 4.000 Teilnehmer hatten sich Freitag und Samstag auf dem im Norden der Stadt gelegenen Olympiagelände eingefunden, das, erst 2004 eingeweiht, stellenweise schon beachtlich vor sich hin bröckelt.

Gewerkschafter aus Europa, Attac-Vertreter, globalisierungskritische europäische Netzwerke wie transform, soziale Bewegungen aus Portugal oder Italien, Aktivisten aus Griechenland, aber auch eine kleine Gruppe der Linkspartei sowie der Interventionistischen Linken aus Deutschland waren gekommen, um über Antworten auf die Sparpolitik oder die Situation der MigrantInnen in Griechenland zu diskutieren.

Sie treffen Krise und Arbeitslosigkeit besonders hart: „Es geht nicht nur um Flüchtlinge, die aus Afrika hier landen. Auch viele andere MigrantInnen haben ihren legalen Status verloren und kommen in Abschiebehaft, weil Aufenthaltspapiere an eine reguläre Stelle geknüpft sind“, erzählt Debbie Valencia von Kasapi Hellas, einem Zusammenschluss philippinischer migrantischer Beschäftigter in Griechenland.

Die kleine Frau berichtet von unhaltbaren Zuständen in den Gefängnissen: „Die Menschen schlafen zum Teil ohne Matratze auf dem Boden, haben keinen Freigang. Und immer wieder müssen sie auf den Boden in den Zellen machen, weil sie nicht zur Toilette dürfen.“

Der Euroaustritt bleibt umstritten

Ist die Einigkeit, sich gegen diese europäische Realität zu stemmen, groß, so brechen auf dem Alter Summit, einem Schwester-, aber keinem direkten Nachfolgeprojekt der europäischen Sozialforen, auch klare Differenzen auf. Aus dem Euro aussteigen oder nicht, lautet eine Kontroverse, die vor allem in Griechenland an Bedeutung gewinnt, seitdem sich für das Linksparteienbündnis Syriza reale Chancen abzeichnen, bei den nächsten Wahlen die Regierung zu stellen.

„Der Euro bedeutet Turbokapitalismus, mit dem Euro haben wir keinen Spielraum“, sagt Vasilis Tsapas, der in einer solidarischen Klinik in Thessaloniki als Arzt mithilft, eine kostenlose Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Krankenversicherung aufrechtzuerhalten.

Doch Nikolaus Chounties, der für Syriza im Europaparlament sitzt, spricht sich gegen solche Ideen aus: „Von der Abwertung einer wieder eingeführten Drachme und verteuerten Importen wären zuerst die einfachen Lohnabhängigen betroffen. Das kann für uns keine Option sein.“

Basisbewegter geht es derweil im Freien zu, beim internationalen Solidaritätsdorf. In Griechenland sind in der Krise Hunderte von Initiativen entstanden, die mit einer scharfen Kritik an der verheerenden Spar- und Kürzungspolitik der Troika das Überleben jenseits staatlicher Institutionen organisieren.

Das reicht von Lebensmittelverteilungen in Nachbarschaften über mittlerweile 35 Kliniken und Arztpraxen im ganzen Land für Unversicherte, über Märkte, auf denen Konsumenten und Bauern in direkten Austausch treten, bis hin zu Arbeiterkooperativen.

Die bekannteste unter rund 40 Kooperativen dürfte derzeit die Baustofffabrik Vio.Me in Thessaloniki sein, die 38 Beschäftigte in Eigenregie betreiben, nachdem der vorherige Besitzer die Fabrik geschlossen hatte. Noch kämpft Vio.Me um eine staatliche Zulassung – aber die Produktion, derzeit von biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln, und ihr Vertrieb über die landesweiten Solidaritätsstrukturen laufen bereits. „Rechtlich ist das schwierig. Aber wir müssen erfinderisch sein“, sagt Ziogas.

Erfinderisch sein – auf dem Alternativengipfel erwächst die Ahnung von etwas Neuem, die sich auch auf die angereisten Kooperativenvertreter oder Basisaktivisten aus Italien, Portugal oder Frankreich überträgt. „Wir entdecken wieder, zu was wir gemeinsam fähig sind, wir bauen stabile Netzwerke, wir entwerfen die Idee einer anderen Gesellschaft“, fasst ein älterer Grieche es zusammen.

Blockupy 2014 wird schon vorbereitet

Für Christos Giovanopoulos vom griechischen Netzwerk solidarity4all sind die Kämpfe eng mit dem Linksparteibündnis Syriza verknüpft. „Wenn in Griechenland etwas Neues entsteht, dann in Zusammenarbeit der Solidaritätsbewegungen an der Basis, die täglich neue Leute einbinden, und einer politischen Kraft im Parlament. Griechenland ist ein politisches Laboratorium.“

Für Giovanopoulos und die Teilnehmer des Solidaritätsdorfes steht nun die weitere Vernetzung mit Basisinitiativen aus Europa an – und die Verbreitung der internationalen Solidaritätskampagne, die sein Zusammenschluss gestartet hat. Auch das nächste Vorbereitungstreffen in Deutschland, um die Blockupy-Aktionen 2014 in Frankfurt am Main zu planen, steht schon im Kalender. Er ist zufrieden: „Es waren zwei produktive Tage, die Gruppen in Europa rücken zusammen.“

Auch Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, ist in der großen Halle des Velodroms, dem zentralen Treffpunkt des Alter Summit, vorsichtig optimistisch: „Das Ziel, zu einer gemeinsamen Widerstandsstrategie gegen die Austeritätspolitik zu kommen, ist ausgeprägter gewesen als bei den europäischen Sozialforen.“

Das Manifest des Alter Summit unter www.altersummit.eu