Musik für Flughäfen

Zwischen Plansollerfüllung, Glätte und Eleganz: Death Cab For Cutie spielten im ausverkauften Postbahnhof ein nahezu perfektes, aber in seiner Gehetztheit leider wenig mitreißendes Konzert

von RENÉ HAMANN

Indie-Rock ist der neue Mainstream, und Ausverkauf und ausverkauft liegen nur einen Buchstaben auseinander. Der inzwischen gut etablierte Postbahnhof präsentierte mit Hilfe der Tausendsassas vom Karrera Klub eine Band, die vor fünf Jahren mit Mühe vielleicht 50 Leute ins Konzert gelockt hätte: Death Cab For Cutie. Und siehe da, die Leute kamen in Scharen, an so etwas wie „Abendkasse“ war nicht zu denken. In die weiträumige Halle passte kein Abc-Schütze mehr.

Merkwürdig, wie sich über die Jahre nicht nur das Ausgehverhalten, sondern auch die Akzeptanz der vorherrschenden Bedingungen verändert hat. „In my head there is a greyhound station“, wie es in einem Song von Death Cab For Cutie heißt: Der Eintritt, der Konzertgang glich tatsächlich einer Abfertigung am Flughafen. Nach der Kartenkontrolle das Abtasten und Abchecken der Taschen, dann durch mehrere Schleusen zu den wohlsortierten Schlangen vor den Garderoben, die nach Farben eingeteilt waren. Nach Erhalt einer grünen oder roten Marke ging es wieder durch eine Schleuse durch eine Departure Lounge mit Vorabhängmöglichkeit, an den von Räumungskräften behüteten Toiletten vorbei hin in den Vorraum. Hier gab es Casinochips fürs Flaschenpfand und etwas Einstimmungsmusik.

Nach einem Duo, das erst als Placebo-Abklatsch, später als Merchandising-Stand-Verkaufskräfte auf sich aufmerksam machte und der üblich langen Umbaupause kamen die Männer auf die Bühne, um die es eigentlich ging. Death Cab For Cutie, vier bodenständige Männer aus der amerikanischen Arbeiterklasse. In Band-T-Shirt, Holzfällerhemd oder klassisch schwarz. Die Musik, die sie spielen, lässt sich als sanft-cleverer Indie-Rock in zeitloser Blüte beschreiben. Getragen von der glockenhellen Stimme Benjamin Gibbards, der auch sonst viel vom jungen Brian Wilson hat.

Pendelt ihr letztjähriges sechstes Album „Plans“ – dem ersten übrigens auf dem Major Atlantic – noch gut die Balance zwischen Glanz und Eleganz aus, so gingen die Songs live in einem um sich greifenden Hang zur Professionalität unter. Der Schwung in Richtung Tiefe und Schönheit ist dahin, der Funke wollte nicht überspringen: Die Band um Gibbard war zu angespannt, zu fixiert auf das erste Konzert der Tournee. Sie hetzten von Stück zu Stück. Kaum war der letzte Ton eines Songs angespielt, warf Gibbard dem Roadie auch schon die Gitarre zu und eilte zum Keyboard. Das nächste, bitte. Die Band kam kaum mit.

Nicht, dass sie keinen Spaß hatten oder verbreiten wollten. Und natürlich war das Set nahezu perfekt gespielt. Ein warmer Überschwang, ein Ausbreiten mit Seele wollte sich aber partout nicht einstellen – dafür haben die vier aus der ehemaligen Welthauptstadt des Pop ihre Songs zu wenig gespielt und zu sehr gearbeitet. Sicher, es gab Momente. Es war eine Freude, „President of What“ zu hören oder der erst im zweiten Anlauf gelungenen Darbietung von „Soul Meets Body“ zu lauschen (beim ersten Versuch riss eine Saite auf der Akustikgitarre).

Das durchmischte Auditorium aus Fans der ersten Stunde und wirklich jungen Leuten, die DCFC eher vom „O.C., California“-Soundtrack kennen, gab sich sichtlich Mühe, einen guten Abend zu haben. Man bewegte sich zu den Rockern, entzündete Feuerzeuge zu den Balladen. Man freute sich, rauchte, jubelte und war freundlich gesinnt.

Nur mitreißend war das alles nicht. Erst als das reguläre letzte Stück „Sound of Settling“ anstand, machte die Band sich locker. Die Rhythmusfraktion verhakte sich, Gibbard verlachte den Ba-Ba-Refrain. Euphorie keimte auf. Schon folgten dankbare Hellos, Grüße in die Stadt und eine Zugabe mit drei Nummern, die aber doch wieder nur dem gleichen Professionalismus verpflichtet waren. Kann man einen Schmachtfetzen wie „I Will Follow You In the Dark“ denn nicht mal wirken lassen, bitte?

Ein Konzert zwischen Plansollerfüllung, Glätte und Eleganz. Was blieb, war eine milde Enttäuschung beim Gang zurück durch die Schleusen. „Soul“ und „Body“ trafen sich woanders.