Unangenehme Fragen

Der Arte-Themenabend „Ein Traum von Heimat“ (ab 22.25 Uhr) über Israelis und Palästinenser

Yulie Cohen Gerstel ist eine ungemütliche Frau. Sie ist in Tel Aviv geboren, wo ihre Familie seit Generationen lebt, sie wurde zionistisch erzogen, ging zum Militär. Jetzt stellt sie als Filmemacherin die Ideologie, mit der sie aufwuchs, in Frage. Mit der Kamera zieht sie los und fragt, wie ihr Land mit den Palästinensern umgeht?

Sie fragt ihre Familie, ihre Freunde. Fragt, was mit der arabischen Familie geschehen ist, die nebenan wohnte. Sie trifft weder auf Verständnis noch auf Interesse oder offenherzige Antworten. Sie hat ein Tabu gebrochen. Die Befragten fühlen sich als Juden selbst verfolgt. Mit der Vertreiberrolle wollen sie sich nicht auseinander setzen. Gerstel nervt, bohrt nach. Dieses Bedrängen spürt der Zuschauer. „Lass sie doch in Ruhe. Es bringt doch nichts“, möchte man Gerstel manchmal sagen. Sie begibt sich an Orte jüdischer Geschichte, fährt zur Festung Massada, einem Symbol jüdischen Widerstands. Sie sieht müde aus. Sie musste hart kämpfen, bis zumindest ein paar israelische Kinos den Film zeigten. Zu kritisch, zu palästinenserfreundlich. Gerstel versucht, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und den Palästinensern die Hand zu reichen, indem sie Vergangenes hinterfragt, sich für ihr Land schämt. Die palästinensische Seite, der arabische Regisseur Hassan Nizar, nimmt diese Hand nicht an. Für ihn sind Israelis Täter und Palästinenser Opfer. Auch in seiner Familie wurde lange geschwiegen. Von der Vertreibung aus dem Heimatdorf erfuhr er erst spät. Die Vertreibung hat den Traum seines Vaters, eine Ölmühle zu bauen, zerstört. Nizar widmet sich der palästinensischen Identität vor und nach 1948. Für ihn gibt es keinen echten Austausch zwischen Israelis und Palästinensern. Eine Zusammenarbeit mit israelischen Künstlern lehnt er ab, weil die beiden Seiten nicht gleichberechtigt seien. Der Arte-Themenabend „Ein Traum von Heimat“ zeigt die Folgen jahrelangen Schweigens auf beiden Seiten. KERSTIN SPECKNER