Zu Hilfe, Voltaire – sie sind verrückt

Der ägyptische Besitzer der französischen Boulevardzeitung „France Soir“ feuert seinen Chefredakteur. Weil dieser die umstrittenen Mohammed-Karikaturen nachdruckte

PARIS taz ■ „Es ist erlaubt, Gott zu karikieren“, stand als Schlagzeile auf Seite eins des Boulevardblatts France Soir vom Mittwoch. Gefolgt von den zwölf Zeichnungen von Prophet Mohammed, die zuvor schon in Dänemark für Aufregung gesorgt hatten. Noch am selben Abend wurde Chefredakteur Jacques Lefranc gefeuert, und der ägyptische Besitzer Raymond Lakah entschuldigte sich bei der „muslimischen Gemeinschaft“.

Neben Zeitungen in der ganzen Welt – darunter auch ein Boulevardblatt in Jordanien – haben inzwischen mehrere französische Medien die Mohammed-Karikaturen auf ihre Webseiten gestellt. Sie begründeten dieses Vorgehen mit ihrer Informationspflicht und der Pressefreiheit. Ein Zeichner des französischen Wochenblattes Canard Enchaîné sprach von einer „Geschichte von Durchgeknallten“ und fügte hinzu: „Die Antworten auf diese Zeichnungen sind völlig unverhältnismäßig. Wer sie nicht mag – und das kann man verstehen – soll dagegen klagen.“

Schon in den Vortagen hatten Innenminister mehrerer arabischer Staaten eine eigenwillige Vorstellung von Pressefreiheit bewiesen, als sie Dänemark zu „harten Sanktionen“ gegen den Karikaturisten aufforderten. Seit Mittwoch beschlagnahmen die Behörden in Tunesien und in Marokko das französische Boulevardblatt. Gestern riefen im Gaza-Streifen zwei bewaffnete Organisationen dazu auf, nicht nur dänische, sondern auch französische Produkte zu boykottieren. Gleichzeitig erklärten dieselben bewaffneten Kämpfer jeden französischen Staatsangehörigen zu einem „Ziel“.

Die Pariser Diplomatie hat versucht, sich aus der Krise herauszuhalten. Inzwischen geht Außenminister Philippe Douste Blazy auf Distanz zu den Medien. Er bestätigt zwar ihre Unabhängigkeit, verurteilt jedoch, was „Individuen in ihrem Glauben und in ihren religiösen Überzeugungen verletzt“. Sein Ministerium verweist darauf, dass es aus Sicherheitsgründen ohnehin von Reisen in den Gaza-Streifen abrät. Und die französische Botschaft in Algier bezeichnet die Karikaturen als „schockierend“.

Während die Medien ihre Unabhängigkeit verteidigen, haben in Frankreich Sprecher aller großen Religionsgemeinschaften die Karikaturen kritisiert. Der Chef des Muslimrates, Dalil Boubakeur, sprach von einer „Provokation gegen die fünf Millionen Muslime in Frankreich“.

Beim France Soir rätseln die Beschäftigten, was hinter dem Rausschmiss ihres Chefredakteurs steckt. Das Blatt steht kurz vor dem Aus und soll verkauft werden. Gestern wurde einer der Kaufinteressenten zum neuen Chefredakteur ernannt. Seine erste Überschrift : „Zu Hilfe, Voltaire – sie sind verrückt geworden. DOROTHEA HAHN