Afrikanische Geschichten
: Eliten des Exils

1994 trat unter Nelson Mandela in Südafrika das erste nichtrassistische Parlament zusammen. Dort waren mehr Abgeordnete mit Hochschulabschluss vertreten als jemals zuvor. Denn: die Mehrheit der neu gewählten Politiker hatte die Jahre zuvor im Exil verbracht. Gerade die schwarzen Politiker in der neuen Regierung hatten während der Apartheid in ihrem Heimatland keine Chance auf weiterführende Bildung oder Universitätsabschlüsse gehabt – im Exil dagegen schon.

Exil als Chance, diese These untersucht der Historiker und ehemalige DDR-Diplomat Hans Georg Schleicher in seinem Buch „Südafrikas neue Elite“. Die Exilperiode des African National Congress (ANC), der damaligen Befreiungsbewegung und heutigen Regierungspartei in Südafrika, dauerte 30 Jahre: Im März 1960 wurde der ANC verboten, im Februar 1990 wieder zugelassen. Während der ANC in den Anfangsjahren des Exils vor allem um sein Überleben kämpfen musste, gelang es ihm später zunehmend, seine Auslandsverbindungen zu nutzen, um sein internationales Ansehen zu stärken und einzelne Politiker auf die Regierungsübernahme vorzubereiten.

Schleicher untersucht in seinem Buch detailliert den Einfluss des Exils auf die politische, personelle und auch persönliche Entwicklung der ANC-Führungskräfte. Wie existenziell sich diese Erfahrungen auf die heutigen Herren Südafrikas ausgewirkt hat, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen erstmalig im Exil den gleichberechtigten Umgang zwischen Schwarz und Weiß erleben konnten.

Neben dem politischen Zentrum des ANC in Lusaka (Sambia) entwickelte sich die britische Hauptstadt London seinerzeit zum „zweiten Hauptquartier“. Hier wurden die Exilanten mit vielem vertraut, was sie im afrikanischen Exil oder in den Staaten des Ostblocks nicht so ohne weiteres kennen lernen konnten: innerparteiliche Diskussionen, zivilgesellschaftliches Engagement und wirtschaftsliberale Positionen, aber auch die Akzeptanz von Minderheiten wie Homosexuellen. Hier gelang es zudem einigen Frauen, den patriarchalen Rollenmustern zu entkommen. Besonders interessant sind die 19 Biografien von südafrikanischen Exilpolitikern, die Schleicher detailliert untersucht. Dort erfährt man beispielsweise, dass der jetzige südafrikanische Regierungschef Thabo Mbeki sein Exil nicht nur dazu nutzte, an der University of Sussex Ökonomie zu studieren, sondern auch zum Verfassen einer Dissertation über die Dichtung der englischen Romantik.

Ebenfalls von einem Südafrikaner handelt das Buch „El Negro“ des Journalisten und Entwicklungshelfers Frank Westermann – und zwar von einem Mann, der schon seit mehr als 170 Jahren tot ist. Das hört sich auf Anhieb nicht gerade aufregend an. Aber wider Erwarten ist dieses Buch spannend. „El Negro“, das war nämlich die präparierte Leiche eines Afrikaners, die von 1916 bis immerhin 1997 wie ein ausgestopftes Tier im Heimatmuseum der spanischen Kleinstadt Banyoles ausgestellt wurde. Da man nicht so genau wusste, woher El Negro stammte, wurde er 2000 schließlich in Botswana beigesetzt.

Westermann macht sich auf die Suche nach der Herkunft des Namenlosen und nach den Umständen, unter denen sein Körper nach Europa kam. Er stöbert in alten Akten und Briefen. Es gelingt ihm, nicht nur den Weg zu rekonstruieren, den El Negros Körper im 19. Jahrhundert genommen hat, sondern auch die gesellschaftlichen und rassenpolitischen Debatten, die diesen Weg begleiten. Dem stellt der Autor seine eigenen Erfahrungen gegenüber. Denn als Entwicklungshelfer und Journalist auf Jamaika, in Lateinamerika und Afrika erlebt er immer wieder die Auswirkungen dieser Rassenpolitik bis in unsere Tage. URSULA TRÜPER

Hans-Georg Schleicher: „Südafrikas neue Elite. Die Prägung der ANC-Führung durch das Exil“. Institut für Afrika-Kunde, Hamburg 2004, 368 Seiten, 22 EuroFrank Westermann: „El Negro. Eine verstörende Begegnung“. Ch. Links Verlag, Berlin 2005, 240 Seiten, 22,90 Euro