„Das ist meine letzte Chance“

INTERVIEW NATALIE WIESMANN

taz: Sie machen eine Drogentherapie statt Ihre Haftstrafe abzusitzen. Ist das bequemer?

Frank Döring: Nein, ganz sicher nicht. Meine Therapie geht länger als meine Haftstrafe gedauert hätte. Außerdem muss man sich in Therapie mit sich selbst beschäftigen, bei der Psychologin die Karten offen legen, immer ehrlich zu sich selbst sein. Es kommt immer wieder vor, dass einer lieber in den Knast zurück geht, weil er in Ruhe gelassen werden will.

Thomas Kuhn: Klar, die denken, ich geh in den Knast, da ist alles einfacher, guck Fernsehen, regel‘ meine Drogengeschäfte...

Warum sind Sie dann überhaupt hier?

Kuhn: Für mich ist das die letzte Chance, ich hab fünf Therapien hinter mir, bin immer wieder rückfällig geworden. Eine weitere Therapie zahlt mir keiner mehr. Und was noch wichtiger ist: Ich habe nur noch ein halbe Lunge und ein gelähmtes Bein durch meine Drogensucht. Das ist auch körperlich meine letzte Chance.

Wann hat Ihre Drogensucht begonnen?

Kuhn: Ich habe mit 14 Jahren angefangen. Ich wollte einfach was Neues erleben. Erst war es Haschisch, dann hat mein Dealer was anderes mitgebracht, Kokain und Heroin. Deshalb bin ich stark dafür, Haschisch zu legalisieren. Damit würde man verhindern, dass einem ein und diesselbe Person alles verkauft.

Döring: Mein Vater ist früh gestorben. Meine Mutter war nur am Arbeiten, wir Kinder haben den Haushalt geschmissen. Ich habe schon früh mit dem Alkohol trinken angefangen, hat mich aber nie vom Arbeiten abgehalten. Mit 28 Jahren habe ich zum ersten Mal Heroin gespritzt. Wenn man mir gesagt hätte, was man durch die Sucht alles verlieren kann, hätte ich nie angefangen.

Sind Sie nicht aufgeklärt worden? Spätestens seit „Christiane F.“ müsste doch jeder wissen, wohin das führen kann.

Döring: Mir war das jedenfalls nicht klar. Außerdem hilft die Aufklärung auch in anderen Bereichen nicht, wie bei AIDS zum Beispiel.

Ist es eigentlich wirklich so einfach im Knast an Drogen zu kommen, wie man immer wieder hört? Gibt es keine Kontrollen?

Kuhn: Doch, die gibt es. Aber alles können die nicht finden. Besucher schaffen es immer wieder, etwas einzuschleusen. Mal sind die Drogen in einem Päckchen Kaffee versteckt, mal in einem Paket. Außerdem sind es oft auch die Mitgefangenen, die den Häftlingen was verkaufen.

Haben Sie selbst im Knast Drogen genommen?

Döring: Nein, ich habe mich aber gleich auf die Therapieabteilung legen lassen.

Kuhn: Naja, aber in einigen Gefängnissen bekommt man dort Methadon. Da halte ich gar nichts von, damit unterdrückt man nur die körperliche Abhängigkeit, aber die Sucht ist im Kopf. Ich habe im Knast in paar Mal gekifft und zwei Mal Heroin gespritzt. Die letzte Nadel, die mir angeboten wurde, war aber so alt, dass ich abgelehnt habe. Und es ist auch eine Sache des Geldes, wovon soll man sich das kaufen?

Döring: Manchmal kann man tauschen, ein paar Päckchen Tabak gegen einen Schuss oder so.

Gibt es im Gefängnis die Möglichkeit, sich durch Arbeit etwas dazu zu verdienen?

Kuhn: Das sind 80 bis 120 Euro im Monat – für eine 40-Stunden-Woche. Die Firmen machen ein Riesengeschäft mit den Häftlingen. Die stecken doch mit Absicht so viele Junkies in die Knäste, um die Industrie hochzuhalten. Dazu kommen die extra hohen Haftstrafen im Vergleich zu anderen Delikten – laut Krankenkasse sind wir aber Kranke.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie in Therapie gehen konnten?

Döring: Bei meiner Verhandlung habe ich sofort Antrag auf Paragraph 35 (siehe Kasten unten) gestellt. War für mich kein Problem, weil ich vorher noch keine Therapie gemacht habe. Der Richter war auch ganz froh, dass ich mich so entscheide, hatte ich den Eindruck. Von dem Suchtberater der JVA habe ich mir Prospekte von verschiedenen Therapie-Einrichtungen geben lassen. Dann habe ich mich hier beworben und bin genommen worden.

Das ging ja dann vergleichsweise flott...

Döring: ...nee nee, so einfach ist das nicht. Wenn man nicht hinterher ist, können die einen durchaus vergessen. Ich habe immer wieder Druck gemacht, bei der Staatsanwaltschaft angerufen. Außerdem habe ich jeden Monat einen Brief an diese Einrichtung hier geschrieben, um zu zeigen, dass ich Interesse habe.

Kuhn: Also in der JVA Gelsenkirchen habe ich mindestens drei Monate auf meinen Termin beim Suchtberater gewartet. Ich hatte noch zusätzlich eine Berater von außerhalb, von der Drogenberatung Wanne-Eickel. Die klären einen viel besser auf als die JVA-Suchtberater...

...gerade bei den externen Drogenberatern will die Landesregierung jetzt kürzen.

Kuhn: Das verschlimmert die Lage. Wenn die Wartezeiten auf einen Termin noch länger werden, halten viele ihr Vorhaben nicht durch, schätze ich. Wenn man sich was vornimmt, muss man sofort Hilfe bekommen, nicht erst ein halbes Jahr später. Bei mir hat es ja schon insgesamt 13 Monate gedauert, bis ich hier angekommen bin. Aber es hat sich gelohnt, das ist die beste Einrichtung, die ich bisher erlebt habe.

Was ist hier anders als in anderen Therapien?

Döring: Ich habe ja kein Vergleich, weil das meine erste ist. Ich finde es gut, dass die Therapie hier ein Jahr geht, länger als in anderen Einrichtungen. Am liebsten würde ich zwei Jahre bleiben, dann könnte ich noch mehr über mich rausbekommen. Ich habe zur Zeit ein echtes Bedürfnis, meiner Psychologin von mir zu erzählen. Schön ist hier auch, dass wir für uns selbst verantwortlich sind. Die einzige Verpflichtung ist, dass hier absolutes Drogenverbot ist. Das gilt auch für Alkohol. Und nach 16 Uhr ist hier kein Mitarbeiter mehr. Derjenige, der Schlüsseldienst hat, lässt sich von dem, der nach Hause kommt, anhauchen.

Kuhn: Nach acht Wochen darf man allein raus, das ist echt ungewöhnlich. Hier bekommt man einen Vertrauensvorschuss und wird nicht gegängelt. Es gibt kein schwachsinniges Fernsehverbot wie in anderen Einrichtungen. Am Nachmittag und am Wochenende regeln wir unseren Tagesablauf selbst. Wir können hier Fußball spielen, ins Fantasialand gehen, reiten... Wenn wir etwas beantragen, bekommen wir das meistens auch. Ich habe erreicht, dass uns ein Computer genehmigt wurde. Ich möchte da Einblick kriegen, das sind für mich noch böhmische Dörfer.

Döring: Hier hat auch keiner was dagegen, dass ich demnächst an einem Tanzkurs teilnehmen will. Steptanz würde mich reizen.

Wenn die Therapie zu Ende ist, besteht da nicht wieder die Gefahr, rückfällig zu werden?

Kuhn: Was mich beruhigt, ist, dass es hier eine Nachsorgegruppe gibt, die sich einmal die Woche hier trifft. Man kann als Ex-Klient zum Essen kommen oder Sport treiben. Wenn man einen Rückfall hat, kann man sich auch an den früheren Betreuer wenden. Aber ich freue mich auch auf die Zeit danach. Ich werde versuchen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ich habe vor, einen Gedichtband zu veröffentlichen. Ich habe schon im Gefängnis angefangen, Gedichte zu schreiben.

Döring: Man darf nicht vergessen, dass ein Drittel der Haftstrafe übrig bleibt, die bekommt man auf Bewährung. Also muss man aufpassen, was man macht. Aber ich bin ganz zuversichtlich, irgendwo finde ich schon einen Job, von mir aus auch bei McDonald‘s. Ich bin ein richtiges Arbeitstier, ich muss mich immer beschäftigen...

Kuhn (lacht): Die müssen hier immer darauf achten, dass er nicht zu viel Arbeit an sich reißt. Es ist einfacher, mit der Freiheit umzugehen, wenn man einen Rahmen hat wie eine Familie. Wenn das wegfällt, ist es schwieriger. Wir wissen ja aus der Vergangenheit, wie man schnell Geld machen kann.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Familien?

Kuhn: Ich habe meine Eltern, die in Norddeutschland wohnen. Inzwischen habe ich zu ihnen wieder einen guten Kontakt. Die sind damals aus dem Ruhrgebiet weggezogen, weil sie sonst an meiner Sucht zerbrochen wären.

Döring: Ich habe eine 15-jährige Tochter, die mir wichtig ist. Ich habe sie seit vier Jahren nicht mehr gesehen, ich habe mich zu sehr geschämt. Aber vor kurzem habe ich mir ihre Adresse besorgt und ihr einen Brief geschrieben. Wenn im Laufe der Woche nichts zurückkommt, ist das natürlich ein Rückschlag. Aber ich will mich davon nicht unterkriegen lassen.