Sex gegen Brot – das Leid der Frauen

Weibliche Realität in der Zwangsgemeinschaft der Lager: Wenigsten sauber wollten sie sich fühlen. Beim Umgang mit dem Leid gab es durchaus Geschlechterunterschiede, berichtete die Historikerin Anna Hájková

Ist es anstößig, die Opfer des Holocausts nach Geschlecht zu unterteilen? Hatten Frauen es in der Zwangsgemeinschaft der Lager schwerer als Männer? Haben Frauen und Männer das Lagerleben überhaupt unterschiedlich wahrgenommen, erlitten? Anna Hájková, angehende tschechische Historikerin hat am vergangenen Montag in der Stadtbibliothek Bremen genau diese Fragen gestellt. Auch wenn Kritiker argumentierten, vor dem Hintergrund des Grauens könne man Leid nicht geschlechtsspezifisch unterteilen – sie hat die Unterschiede gesucht. 40 Interviews mit Tschechinnen jüdischer Herkunft, Überlebende aus Theresienstadt, hat sie ausgewertet.

Schon aus wenigen Interviews habe man ein Muster feststellen können. „Holzschnittartig gedacht könnte ich sagen, Frauen dachten im Plural, Männer im Singular“, so Hájková. Frauen hätten fortwährend versucht, die Bedingungen ihrer Familien zu verbessern. Der Halt durch die anderen Frauen, Freundinnen, Mütter, Schwestern und Cousinen sei überaus wichtig gewesen. Eine der Zeitzeuginnen gab an, gleich in „ein schönes Kollektiv sämtlich junger Frauen, ledigen oder erst kurz verheirateten, hineingeraten“ zu sein. Auch „warfen sich die Frauen förmlich auf die Ausschmückung der kahlen Wände“, um wenigstens so etwas wie ein „kleines Stückchen Zuhause“ zu schaffen. Geschmuggelt hätten sie mehr als die Männer, und sich auch mehr gewaschen. Was so salopp klingt, steht laut Hájková für die Beibehaltung der weiblichen Identität. Sauber habe man sich manchmal fühlen können, wenigstens das.

Innerhalb der jüdischen Selbstverwaltung, die den Nazis viel Arbeit und Personal gespart habe, spielten die Frauen eine untergeordnete Rolle. Es habe rund 200 verschiedene Abteilungen im Ghetto gegeben; eine Frau sei zwischen 1941 und 1945 Abteilungsleiterin gewesen.

Versorgerinnen der Familien seien die Frauen gewesen – mit der ihnen möglichen Eigeninitiative. Der unbedingte Wille, die Bedingungen zu verbessern, öffnete aber auch der sexuellen Nötigung Tür und Tor. Es habe Männer gegeben, die ihre Machtposition eklatant missbrauchten. Zeitzeuginnen berichteten darüber, dass das Streichen von Deportationslisten häufig von ihrer sexuellen Gefälligkeit abgehangen habe: „… es begleitete mich ein Mitarbeiter aus dem Arbeitseinsatz, … ich war damals neunzehn, zwanzig… und da sagte er einfach, dass er mit mir schlafen will. Und da sagte ich ihm einfach, also kein Interesse, danke schön, und da sagte er, na und, wissen sie, dass in vierzehn Tagen der nächste Transport nach Osten geht? Und wir waren in dem Transport.“ Brot und andere Lebensmittel habe man oft im Tausch gegen Sex bekommen. „Jeder Bäcker hat seine Freundin“ sei in Theresienstadt eine Alltagsweisheit gewesen.

Die Gesetzgebung innerhalb der jüdischen Selbstverwaltung habe zwar Kartoffeldiebstahl geahndet, Schändung und Vergewaltigung aber stellten keinen Straftatbestand dar, unterstreicht Hájková. Die Frauen in den Lagern hätten kaum über ihre eigene Sexualität entscheiden können – angefangen bei den „Tauschgeschäften“, bis hin zum Verbot von Schwangerschaften ab 1943, Abtreibungen gegen ihren Willen und Kindstötungen nach der Geburt. Die Frauen seien im Lager – und nicht nur in Theresienstadt – in doppelter Hinsicht einer Bedrohung ausgesetzt gewesen. Als Frau und als Häftling. Letzten Endes aber machte Zyklon B, so schonungslos formuliert es die Überlebende Ruth Bondy, keinen Unterschied. aha