„Unter Hauptschülern die Elite“

Die katholische Kirche setzt Schwerpunkte und leistet sich eine gymnasiale Oberstufe. Um gute Schüler anzulocken, setzte man früh auf das Abi nach zwölf Jahren. Aber wer hätte gedacht, dass die Traditionsschule ein Hort der 68er-Pädagogik ist?

So nah und doch so fern von den Verlockungen der City verbringen die Schüler der St.-Johannis-Schule jetzt ihre Pausen: Auf der stilvoll renovierten Dachterrasse über der alten Postschalterhalle. Die katholische Schule ist ein Hort der Tradition – und gleichzeitig ein schulpolitisches Experimentierfeld. Der erste Jahrgang an der neu eingerichteten Oberstufe wird 2008 das Abitur nach zwölf Jahren ablegen – vier Jahre vor den Altersgenossen an staatlichen Schulen. Dafür wird seit Jahren gebüffelt: Die Schüler machen jetzt schon Überstunden, um die für die Abi-Zulassung erforderliche Stundenzahl zu erreichen.

Mit der Entscheidung zur Schulzeit-Verkürzung, sagt Propst Ansgar Lüttel, rückte der lang gehegte Traum einer katholischen Oberstufe in greifbare Nähe: Die Kosten des Projektes wurden überschaubarer. Als sich dann mit der alten Post ein Gebäude in unmittelbarer Nähe des heimlichen Kirchen-Campus im Schnoor anbot, griff man zu. „Die Schule bietet uns die Chance, mit jungen Menschen in Kontakt zu treten“, sagt Lüttel. Außerdem fühlt er sich einer Tradition von fast 190 Jahren katholischen Bildungsengagement in Bremen verpflichtet, das nur während der Nazi-Zeit unterbrochen wurde.

„Die Katholiken haben deutlicher als wir Schwerpunkte gesetzt, wo sie investieren“, kommentiert Andreas Quade, Leiter der religionspädagogischen Arbeitsstelle bei der evangelischen Kirche. Die leistet sich keine eigene Schule in Bremen. Quade fände es toll, wenn der katholische Vorstoß auch seine Glaubensbrüder und schwestern unter Zugzwang setzen würde. „Vor zwei Jahren gab es große Sondierungsgespräche zum Thema Schulgründung“, berichtet Quade. „Die sind aber an Sparerwägungen gescheitert.“

Rund 1,75 Millionen lässt sich der katholische Gemeindeverband seine fünf Grundschulen und die St.-Johannis-Schule in diesem Jahr kosten. 2008, wenn die Oberstufe mit etwa 200 Schülern voll besetzt sein wird, werden die Kosten um 1,5 Million steigen, rechnet Geschäftsführer Gerhard Brinkmann. Davon gibt das Land rund zwei Drittel als Zuschuss.

Als in Bremen die so genannten „Schnellläufer-Klassen“ eingeführt wurden, die begabte SchülerInnen in zwölf Jahren aufs Abi vorbereiten, sahen sich die Katholiken unter Zugzwang. „Wir haben befürchtet, dass gute Schüler dann nicht mehr zu uns kommen“, sagt Propst Lüttel. Riecht das nach Elite-Förderung? „Wir wollen jedem Schüler gerecht werden“, sagt Propst Lüttel. Wenn überhaupt, dann möchte er auch seine Hauptschüler als „Elite“ sehen.

„Mir ist von den Hauptschulabsolventen des letzten Jahrgangs keiner bekannt, der nicht eine Ausbildung macht oder eine weiterführende Schule besucht“, kann Schulleiterin Anette Kieslich berichten. Sie führt das darauf zurück, dass ihre Schüler nicht nur mit Leistung, sondern auch mit sozialer Kompetenz punkten können. Die lernen die Schüler in einer Atmosphäre ohne Sitzen-Bleiben und ohne Angst vor dem Abrutschen. Bereits seit 1969 sind Haupt- und Realschulzweig an St.-Johannis integriert. „Das entsprach damals dem Trend in Deutschland“, sagt die Pädagogin. Eine Privatschule kann schnell auf solche Trends reagieren.

Seitdem bleiben die Schüler bis zum Abschluss im Klassenverband, werden aber ab Klasse Sieben in den Hauptfächern in A, B- und C-Kursen unterrichtet. Damit ein unkomplizierter Wechsel zu jedem Halbjahr möglich ist, wird in allen Kursen der gleiche Stoff durchgenommen, die gleichen Themen in Klassenarbeiten abgefragt. „Das ist historisch gewachsen“, sagt Anette Kieslich. „Wir halten daran fest, weil wir glauben, dass es die Schüler motiviert.“ Annedore Beelte