piwik no script img

„Der schaut nur aus wie a Chines“

Schnitzel, Knödel, Kaiserschmarrn: Lui Chi beherrscht die Standards der österreichischen Küche perfekt. Schiefe Blicke erträgt der Chefkoch eines Kreuzberger Restaurants mit lächelnder Geduld

Lui Chi hat nichts gegen die asiatische Küche. Er liebt sie. Aber er hat nun mal Knödel gelerntFür einen Jungen, der mit 16 noch 150 Zentimeter maß, war Geduld eine Art Überlebensstrategie

von Hans W. Korfmann

„Ja, manchmal haben die Leute schon geschaut, wenn sie im Tiroler Hof ein Wiener Schnitzel bestellt haben, oder ein Gselchtes mit Knödeln, und dann steht da so ein Koch!“ Der Koch lacht vor Vergnügen. Es hat ihn oft geärgert, aber es hat ihm auch Spaß gemacht, die Leute zu verdutzen. Nicht immer nur schüchtern zu lächeln. „Vor allem, wenn ich nach Tirol auf Saison gegangen bin. So auf 2.000 Metern ist das schon ein bisschen anders als daheim in Gmunden.“ In Sölden, wo gerade der Ski-Weltcup eröffnet wurde, hat ihm die Chefin beim Kochen drei Tage lang skeptisch über die Schulter geschaut. Und die Gäste haben lange Gesichter gezogen, wenn der Koch aus der Küche kam. Bis der Koch etwas sagte. Dann war klar: „Der schaut nur aus wie a Chines! Aber dös is koaner.“

Doch nicht nur in entlegenen Alpentälern, im „Goldenen Brunnen“, im „Hotel Sani“ oder im „Tiroler Hof“, wo man derbe Dialekte spricht, auch im „Riehmers“ in der Hagelberger Straße steht man den österreichischen Kochkünsten eines Mannes mit asiatischer Physiognomie eher distanziert gegenüber. „Ich seh die reinkommen und sag zur Küchenhilfe: Jetzt gibt’s Ärger!“ Die Herrschaften setzten sich, bestellten vier Wiener Schnitzel, und kaum waren die auf dem Tisch, da gingen sie auch schon wieder zurück in die Küche. „Wir fahren jedes Jahr nach Österreich, wir wissen, wie Wiener Schnitzel schmecken müssen!“ Dabei waren die Schnitzel schön dünn geschnitten, die Semmelbrösel frisch aus Österreich eingetroffen. Zudem sind Schnitzel die Leibspeise des Kochs – so wie jedes echten Österreichers. Doch der Koch bleibt höflich. Er zeigt asiatische Geduld. Auch als sich ein paar Tage später ein anderer Gast beschwert, er habe die Schnitzel frittiert, anstatt sie in der Pfanne auszubacken. „Wie sonst hätte so ein Chines so eine schöne Blase in der Panier hingekriegt!“ Lui Chi hat Geduld gelernt. Er war noch kein Jahr alt, als er ins Land gebracht wurde, er spricht heute akzentfrei Deutsch und Österreichisch, je nach Bedarf. Er verstand schon als Kind sehr genau, was es bedeutete, wenn sie „Schlitzauge“ oder „Reisfresser“ sagten oder solche Sätze wie „Geh doch dahin, wo du hergekommen bist“. Deshalb hat er sich in Geduld geübt. In Geduld und Zielstrebigkeit.

Während die österreichischen Kinder im Wald Räuber und Gendarm spielten oder Sandburgen bauten und Straßen und Flugplätze, hantierte der kleine Kambodschaner schon im Sandkasten am liebsten mit den Kuchenförmchen. Und während andere Jungen bei ihren Vätern in der Werkstatt herumlungerten, sah seiner Mutter in der Küche beim Kochen zu. Fürs Handwerk schien er ungeeignet. „Wenn ich ein Vogelhäuschen bauen musste, dann musste ich es mit Sicherheit zweimal bauen, so schlecht war das erste!“

Irgendwann nannten ihn seine Mitschüler Jean-Luc. Weil sein Haarschnitt an den Commander der Enterprise erinnerte. Später verfielen sie auf Luigi Bagetti, weil er Baguette liebte. Auch diesen Namen ließ er gelten. Als er Jahre später nach Feierabend in der überfüllten Diskothek in Sölden den Plattenteller drehte, schrieben sie auf die Plakate nicht mehr Luigi, sondern Lui Chi. Damit es ein bisschen fernöstlich klang im Alpental. Sogar der ORF kam angereist, um den exotischen Diskjockey zu filmen. „Lui Chi“ nennen sie ihn heute noch. Nith Sun, der Name, mit dem er zur Welt kam, kennt heute niemand mehr. Und Nith Markus Jani steht nur noch in seinem Pass. Wenn die Leute ihn fragen, aus welchem Land er kommt, weil sie zwischen Vietnam und Thailand schwanken, dann sagt er Österreich. Ohne mit der Wimper zu zucken.

Dabei ist es nicht so, dass Lui Chi etwas gegen Asiaten hätte. Auch nicht gegen die asiatische Küche. Er liebt sie. Er würde sofort nach Hongkong gehen, wenn er endlich mal ein gutes Angebot von einem guten Restaurant bekäme, und nicht immer nur von diesen Hotels, in denen man jahraus, jahrein dasselbe kocht. Nein, seit er die Suppen seiner Mutter gegessen hat, weiß er die asiatische Küche zu schätzten. Aber er hat eben Knödel gelernt. Und Wiener Schnitzel. Und Kaiserschmarrn.

Er ist auch nie auf die großen Feste seiner Landsleute gegangen. Diese Hochzeiten mit 300 Gästen, für die seine Mutter früher immer so viel kochen musste. Nicht einmal das große Neujahrsfest feiert er mit. Er hat sich immer an die Österreicher gehalten. Zielstrebig und geduldig. Er hat seine Lehre in dem berühmtesten Knödellokal von Gmunden gemacht, in Gmunden am Traunsee. Im Gasthof Grünberg liefen 30 Leute rum! Als er sich die Küche das erste Mal anschaute, hatte er das Gefühl, überall im Weg zu stehen. Also lief er gleich mit, „packte an“ und spülte das Geschirr. Deshalb wählten sie Lui Chi – unter vielen andern echt österreichischen Bewerbern. Das war der erste kleine Sieg, und schon im dritten Lehrjahr war Lui Chi stellvertretender Küchenchef.

Dafür war er aber auch „immer 15 Minuten vor der Arbeit da“. Denn Lui Chi war nicht nur geduldig und zielstrebig, er war auch ehrgeizig. „Ich wollte nicht ein halbes Jahr Kartoffeln schälen.“ Also stand er zu Silvester auch mit 40 Grad Fieber am Herd, arbeitete 15 Stunden am Tag, verlor allmählich seine Freunde aus den Augen, die Familie sah er nur noch schlafend. Er dachte ans Aufhören, aber dafür bezahlten sie den arbeitsamen Kambodschaner inzwischen zu gut. Hinzu kam, dass er als ausgewiesener Schnitzel- und Knödelkoch auf seinem langen Weg zum echten Österreicher ein gutes Stück weiterkam. Er hatte diese ewigen Wiederholungen der Dialoge lange genug mit angehört: „Wo arbeitest du?“ – „In einem Restaurant.“ – „Ah, beim Chinesen.“ – „Nee, beim Österreicher.“ – „Tellerwaschen?“ – „Ne, ich bin der Chefkoch!“ Es war im Gasthof Grünberg, wo er „die Außenseiterposition aus dem Sandkasten“ und dem Schulhof aufgab, wo er lernte, das schüchterne asiatische Lächeln durch österreichisch lautstarkes Lachen zu ersetzen. Lui Chi hatte immer versucht, einer von ihnen zu werden.

„Ich hatte so meine Strategien“, sagt Lui Chi. Schon in der Schule, wenn sie beim Sportunterricht nach Körpergröße in „Stirnreihe“ antreten mussten, wo er immer ganz links außen landete, hängte er sich während des Spiels an die Großen. Auch seine Freunde suchte er sich immer unter größeren Österreichern, nie unter kleinen Asiaten. Er trotzte. Und wenn man ihm sagte, er sei zu klein für den Sport, dann sagte er sich: Jetzt erst recht. Und trat dem Fußballverein bei. Sein großes sportliches Vorbild aber war kein Fußballer, sondern ein Basketballer: Muggsy Bogues, der kleinste Mann der NBA. Und deshalb trainierte er sieben Stunden am Tag Korbwerfen, bis er 1994 österreichischer Streetballmeister wurde.

Der winzige Kambodschaner war noch kein Jahr alt, als er im Winter 1980 quakend auf dem Flughafen Schwechat ankam. In den Armen seiner zitternden Mutter, die in ihrem Sarong dastand und fror. Sie hatten schreckliche Zeiten hinter sich, aber am meisten gefürchtet haben sie sich auf dem Flughafen. Niemand hatte ihnen das gesagt. Dass es so etwas gibt wie Schnee und so eine Kälte.

Sie kamen gerade aus Thailand, wohin die schwangere Frau geflohen war. Ihr Mann, Herr Sun, war zurückgeblieben, um Battaribang, sein Heimatdorf, zu verteidigen. Er wollte nachkommen, aber die Roten Khmer erschossen ihn. Auch Niths Schwester, die an der Hand ihrer Mutter über die Berge klettern musste, blieb auf dem Weg ins Flüchtlingslager zurück. Ringsum wurde gestorben, doch das Kind im Mutterleib trotzte dem Tod: Am 16. März 1980 wurde Nith im Flüchtlingslager in Kao Dong, Thailand, geboren.

Die Mutter, die Großmutter und die beiden Kinder kamen nach Gmunden, „in den Pfarrhof vom Johann Schickelberger“. Der Pfarrer sorgte sich um die Flüchtlinge, mehrmals in der Woche kam der Deutschlehrer ins Pfarrhaus. Die Kinder lernten schnell beim Herrn Jani. Nur die Großmutter wollte nicht, sie unterhielt sich bis ans Lebensende nur auf Kambodschanisch und zündete jeden Tag in der Kirche von Gmunden eine Kerze an. Sie schüttelte auch energisch den Kopf, als der Deutschlehrer nach einiger Zeit um die Hand ihrer Tochter anhielt. Sie hielt nichts von solchen Ehen. Zudem begannen die Österreicherinnen zu reden: „Die hat mit dem Lehrer angebandelt, damit sie nix zu arbeiten braucht!“ Und auch die kleine kambodschanische Gemeinde, für deren Hochzeiten Frau Sun schnell mal 300 oder 400 Frühlingsrollen machte, weil ihre Frühlingsrollen eben die besten waren, begann zu lästern. „Dabei war sie die Einzige gewesen, die als Witwe nach Österreich gekommen war!“

Doch auch Herr Jani war ein sturer Kopf und sagte sich: „Jetzt erst recht!“ Beim dritten Versuch willigte die Großmutter ein, und der Österreicher mit dem altungarischen Namen Jani war nun Lui Chis Stiefvater. Zwei Geschwister wurden geboren, die taufte Herr Jani auf die Namen Franz Joseph und Elisabeth. Auch er, vor drei Generationen aus Ungarn eingewandert, wusste wohl noch gut, was es bedeutet, in Österreich ein echter Österreicher zu sein. Oder nur „a Tschusch“.

Aus Lui Chi ist ein geduldiger Mensch geworden. Geduld war die einzige Möglichkeit des Jungen, der als 16-Jähriger noch immer bescheidene 150 Zentimeter maß. Geduld war eine Art Überlebensstrategie. Ebenso wie der Ehrgeiz, irgendwann einmal zu ihnen zu gehören. So zu werden, wie die anderen alle schon waren. Und wie es seine Mutter nie hatte werden können. Wenn sie ihm sagten, er sei kein Österreicher, dann sagte er sich: Jetzt erst recht. So hat er es geschafft. Spätestens, seit er in Berlin ist. Als das österreichische Restaurant, in dem er arbeitete, anlässlich der Internationalen Tourismusbörse für die Botschafter und Journalisten ein Degustationsmenü offerierte, nahm ihn der Chef vom Lokal Kürbis beim Arm und stellte Lui Chi der versammelten Mannschaft mit den Worten vor: „Und das hier is unser Chefkoch, a waschechter Österreicher!“ Alle lachten. Nur Lui Chi ein bisschen weniger.

Auch im österreichischen Fernsehen ist er noch einmal gewesen. „Land und Leute“ hieß die Sendung, die in Berlin arbeitende Österreicher porträtierte. Die Kamera beobachtete ihn schon eine ganze Weile beim Zubereiten des Kaiserschmarrns, als der Kameramann fragte: „Wann kommt denn endlich der Chefkoch?“ „Das bin ich“, sagte Lui Chi und grinste. „Was, Sie?“, rief der Kameramann. „Kein Witz!“, lachte Lui Chi, dem eigentlich nicht zum Lachen zumute war. Aber Lui Chi ist eben geduldig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen