Mumienschanz mit toten Mönchen

Ich habe so viele lebende Mumien gesehen, gehört und gelesen, dass mir vor toten nicht bange ist. Zu Besuch bei den alten Kameraden in den Kapuzinerkatakomben von Palermo

„Die Mumien! In Palermo MUSS man die Mumien gesehen haben!“, schallte es aus dem italophilen Umfeld heraus. Also gut, die Mumien. Warum nicht? Alle Sehenswürdigkeiten sind mir gleich recht, das ist ihr Sinn und mein Wesen. Ob man sie besucht oder nicht, macht keinen Unterschied, außer ebendem einen: Wenn ja, dann hat man gesehen, was man gesehen haben muss. Und darf beeindruckt davon berichten. Gut angefüllt ist der Erdball mit Eheleuten, die gemeinsam um die Welt baedekern und die Zeit totschlagen, um das nicht wechselseitig miteinander zu tun. Die Freundeskreise daheim decken sich derweil umsichtig mit Ohropax in ausreichenden Quantitäten ein.

Ich habe so viele lebende Mumien gesehen, gehört und gelesen, dass mir vor ein paar toten nicht bange ist. Was nahe der Piazza di Cappuccini in Palermo in ebenso kühlen wie muffigen Katakomben als Mumie verstaut wurde, ist allerdings, wie manche so sagen, eine Menge Holz. Geboten werden Haut und Knochen und Klamottenfetzen en gros, konserviert nach der Methode balsamier, balsamier.

So viel verrät der Reiseführer: Ende des 16. Jahrhunderts wurde im palermitanischen Kapuzinerkloster wegen der wachsenden Zahl der Mönche auch ein größerer Ort zur Bestattung derjenigen Ordensbrüder notwendig, deren Verfallsdatum abgelaufen war. 1599 wurde als erster Mönch ein Silvestro da Gubbio eingekellert. Er hängt noch heute dort herum, sinnlos wie ein Jugendlicher im Einkaufszentrum, und heißt unter Eingeweihten auch „Der Stubenälteste“ (Abb. 1).

Die zunächst aus praktischen Gründen eingeführte Mumienbestattung wurde später regelrecht zur Mode, und so sieht man hunderte tiefergelegte Männer, auch Frauen und ebenfalls Kinder, die ganz besonders aufwändig hergerichtet wurden, um fast lebendig, nur eben dornröschenschlafend zu wirken. Gruselig ist das versammelte Gammelfleisch seltsamerweise nicht, dazu sind wohl zu viele Mumien aufgebahrt, hingehängt und weggestapelt, und der erste Eindruck des Makaberen verfliegt schnell. Von sachtem Horror ergriffen wird man eher, wenn man unverhofft auf alte Verwandte trifft, die hier für immer Goldene oder Diamentene Hochzeit feiern (Abb. 2).

Warum diese Aufbewahrung Verstorbener in mummen- beziehungsweise mumienschanziger Form? Wollten die Angehörigen jederzeit gesichert Gelegenheit haben zur Überprüfung, ob der oder die Hingegangene auch wirklich hinüber ist und bitte gefälligst in Frieden ruht? Erhöhen dagegen Erd-, Feuer- und sogar Seebestattungen das Risiko der Wiedergängerei? Wäre es also günstig, Soldaten möglichst schon zu Lebzeiten immer so wegzupacken, wie es dem einen oder anderen Kriegshelden in den Kapuzinerkatakomben widerfuhr (Abb. 3)?

Fundament des christlichen Abendlands ist die ausschließlich einschüchternd gemeinte Vorstellung der Wiederauferstehung, der Rückkehr – daher rührt die Idee aller Fortsetzungsgeschichten und Serien: Jesus, Teil eins bis hunderttausend; Das Sackgesicht kehrt zurück; Tolerator 17: Jetzt erträgst du sogar Phil Collins; Christ werden mit Peter Hahne und Johannes Rau; Profi-Grüne ab 40 jetzt noch kriegsgeiler; und so weiter. So gesehen scheint die muffige Mumifizierung nicht schlecht: Was gut im Keller verstaut ist, taucht nicht unerwünscht wieder auf.

Ganz sicher sein kann man allerdings nie. Aus Palermo nach Berlin zurückgekehrt, begegnete ich in der Charité dem Hals-Nasen-Ohren-Schlachter, den ich drei Tage zuvor noch erleichtert in den Kapuzinerkatakomben zurückgelassen hatte und dort für immer gut verwahrt wähnte. Ich verglich den Mann mit seiner letzten Fotografie aus Sizilien (Abb. 4) – eine Verwechslung war ausgeschlossen. Der Arzt lebt – und beweist: Die Mumien sind unter uns. WIGLAF DROSTE