CHRISTIAN RATH ÜBER DIE EUROPAPOLITIK DES VERFASSUNGSGERICHTS
: Die Richter und das Komplott

Beim Prozess um die Eurorettung geht es darum, wer die Leitlinien definiert

Wie sagte Norbert Barthle, MdB für die CDU, in Richtung der Verfassungsrichter? „Mit Verlaub, wir sind die Volksvertreter.“ Zeichen des Selbstbewusstseins oder der Unbotmäßigkeit, wie man’s nimmt. Aber er traf den Punkt. Beim Prozess um die Eurorettung durch die Europäische Zentralbank (EZB) geht es um die Frage, wer die Leitlinien der deutschen Europa-Politik definiert.

Die Verfassungsrichter wollen Deutschland retten, gegen eine europäische Verschwörung, die jederzeit über Deutschland hereinbrechen kann. Das Instrument dieser Verschwörung ist das Anleihenaufkaufprogramm der EZB. Damit könnten, so die Sorge der Richter, wertlose Staatsanleihen der Südländer in Billionenhöhe angekauft und damit vergemeinschaftet werden. Die Zeche zahle dann am Ende der einzig noch halbwegs solvente Eurostaat: Deutschland. Und weil Deutschland in den EZB-Gremien kein Vetorecht hat und der Europäische Gerichtshof (sein Präsident ist Grieche!) als Kontrollinstanz ausfalle, müsse wohl das Bundesverfassungsgericht Deutschland vor dem Machtmissbrauch der EZB retten. So denkt man in Karlsruhe.

Dumm nur, dass Bundesregierung und Bundestag, die demokratisch besser legitimierten deutschen Verfassungsorgane, die EZB unterstützen. Sie glauben nicht an ein Komplott, sondern sehen die Chance, mit dem Aufkaufprogramm den Eurowährungsraum zu retten und damit die deutsche Exportindustrie und Arbeitsplätze zu schützen. Dazu soll die Hilfe langfristige Wirkung haben, indem sie an Strukturreformen der Südstaaten geknüpft wird.

Vermutlich sind beide Analysen zu einseitig und zu nationalistisch. Aber der Konflikt zeigt, dass es hier auch um Machtfragen geht. Wer definiert die deutschen Interessen – das Verfassungsgericht oder die Politik?

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