Aufgehängter Tannenwald

Moderne Kunst trifft auf Yoga, Intellekt auf körperliche Aktion: Der Schweizer John Armleder gestaltet die Räume des Yogazentrums Y 8 um. Bäume schweben über Gold

Nachts mit dem privaten Pkw alte Weihnachtsbäume von der Straße wegzusammeln, ist so ungewöhnlich, dass sogar die Polizei alarmiert wurde. Doch so verrückt, wie die Anzeigenden vermuteten, war diese ziemlich beschwerliche Arbeit nicht: Benita und Immanuel Grosser brauchten die abgelegte Festdekoration für eine Rauminszenierung.

Seit 2001 lässt das Hamburger Künstlerpaar von Kollegen die Räume ihres Yoga-Zentrums Y 8 bespielen – und der Schweizer John M. Armleder brauchte für die aktuelle künstlerische Umgestaltung eben mindestens fünfzig Nadelbäume.

Künstler und Yogalehrer, Tannenbäume und moderne Kunst: Wo anscheinend nichts zusammenpasst, muss ein besonderes Konzept vorliegen. Tatsächlich sind sowohl der 1948 in Genf geborene Künstler wie die doppelten Doppelidentitäten mit den Namen Benita-Immanuel Grosser oder Sita und Ram an der Verschiebung von Dingen und Räumen, ja ganzen Systemen interessiert. „Displacement“ nennt der Kunstbetrieb so etwas wie die Durchführung einer Yoga-Stunde im Museum – eine Praxis, die Benita-Immanuel Grosser seit zehn Jahren in großen internationalen Häusern durchführen. Und schon seit dem Fluxus der 60er Jahre führt John Armleder die Dinge in ungewohnte und überraschende Zusammenhänge: Hier in Hamburg ist es seit vorvergangener Woche ein verkehrt herum von der Decke hängender Tannenwald.

Bevor die Kunst in Museen und „White Cubes“ interniert wurde, hatte sie sich im Alltag zu bewähren: Am öffentlichen Ort und im Palast, in Kulthöhle und Kirche. Warum nicht in einem Yoga-Zentrum? Nichts wird hier illustrativ und kitschverdächtig zusammengezwungen. Die aufeinander treffenden Welten bleiben parallel, erzeugen aber in ihren veränderten Kontexten eine produktive Spannung: Visuelle Rezeption und künstlerischer Intellekt treffen auf körperliche Aktion, Emotion und Meditation.

John Armleders Yogaschulverwaldung hat den seltenen Titel 123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536. Das bezieht sich auf die Einteilung des Bodens in die ordentlich nummerierten Felder für die Yoga-Matten. Obwohl es gerade auch jenes Raster ist, das Benita-Immanuel Grosser in die Museen der Welt übertragen, hat John Armleder beschlossen, diese Ordnung unter Goldfarbe verschwinden zu lassen. Es ist nun, als ob der festliche goldene Boden den Yoga-Praktizierenden den Himmelsglanz zur Verfügung stellt, als ob er sie zu Akteuren adelt in einer alten auf Goldgrund gemalten Heilsgeschichte.

Als wintergrünes Gewächs seit der deutschen Romantik ein mit Licht bestücktes Symbol für das christliche Erlösungsversprechen, werden die hier über dem Gold schwebenden Tannenbäume zu einem vom Himmel hoch herabkommenden Wald, einer im spirituellen Oben wurzelnden, nach unten wachsenden Kraft. Wer es nicht so jenseitig denken mag, kann den Eindruck als Anregung verstehen, darüber zu meditieren, wie die Verhältnisse grundlegend umzuorganisieren wären. Oder man bleibt nicht auf dem goldenen Boden der Tatsachen, sondern passt sich dem über Kopf schwebenden Wald an: Y 8 bietet auch Kopfstand-Kurse an. HS

Mo–Fr 17–21, So 1–17 Uhr, International Sivananda Yoga Center, Kleiner Kielort 8; bis 13. April, Informationen unter: www.artyoga.de