Berliner, bleibt lieber gesund!

Ärzte schließen ab heute jede zweite Praxis. Sie fordern mehr Geld und die Rücknahme der geplanten Arzneimittel-Kürzungen. Die Krankenkassen kritisieren die Berliner Aktion als „unverantwortlich“

VON RICHARD ROTHER

BerlinerInnen sollten in dieser Woche besser nicht krank werden. Denn wenn sie sich mit großen oder kleinen Wehwehchen zum Arzt aufmachen, könnte es vor der Praxis eine böse Überraschung geben: „Heute geschlossen“, wird an jeder zweiten der etwa 6.000 Arztpraxen zu lesen sein. Grund ist eine Protestaktion der Kassenärzte – auch Ärztestreik genannt –, mit der die Mediziner gegen Kürzungen beim Arzneimittelbudget protestieren wollen. Zudem fordern die Ärzte, so steht es in ihrem Infoblatt für Patienten, eine „ausreichende Vergütung ambulanter medizinischer Leistungen“ und einen Abbau von Bürokratie.

Dabei geht es den Ärzten, die offiziell nicht streiken dürfen und deshalb an jeweils zweitägigen Fortbildungsveranstaltungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) teilnehmen, letztlich um mehr Geld, wie aus dem Patienten-Infoblatt etwas verklausuliert hervorgeht. Ein Drittel ihrer erbrachten Leistungen bekämen die Kassenärzte von den Krankenkassen nämlich nicht bezahlt, heißt es in dem Ärzte-Flyer. Wenig später spricht es die Patienten direkt an: „Um Sie auch in Zukunft gut versorgen zu können, fordern wir die Bezahlung unserer Leistungen zum vollen Preis.“

Heute und morgen werden nach KV-Angaben im nördlichen Teil Berlins – und zwar in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Mitte, Pankow, Reinickendorf und Spandau – Praxen geschlossen bleiben. Donnerstag und Freitag sind Praxen im südlichen Teil Berlins dran – in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg, Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick.

In sogenannten Bürgersprechstunden wollen die Ärzte die Hintergründe ihres Protestes erläutern. Die „Sprechstunden Gesundheitspolitik“ sollen am Dienstag im Rathaus Wedding um 10 Uhr und um 11 Uhr im Rathaus Lichtenberg sowie am Donnerstag im Rathaus Charlottenburg um 10 Uhr stattfinden. Patienten, die dringende medizinische Hilfe benötigen, können sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 31 00 31 wenden.

Die Berliner Krankenkassen verurteilen die Aktionen der Ärzte. „Arztpraxen sind kein Ort für politische Auseinandersetzungen“, so die Kassen. „Diese Art des Protests ist schlicht unverantwortlich und rechtswidrig.“ Für Fragen und Beschwerden der Versicherten haben die Krankenkassen eine Hotline eingerichtet; erreichbar unter 2 19 93 40 05.

Die Situation der Berliner Ärzte sei im Bundesvergleich besonders schwierig, sagt der Kieler Gesundheitsexperte Fritz Beske, der das deutsche Gesundheitssystem gegen die Kritik, vergleichsweise teuer und ineffizient zu sein, immer wieder in Schutz nimmt. „Die medizinische Versorgung ist in der Hauptstadt sehr teuer, weil es hier sehr viele Krankenhausbetten im Bereich der Intensivbetreuung gibt“, so Beske. Stattdessen gebe es zu wenig Betten für die Grundversorgung. „Der Berliner Bevölkerung geht es im Vergleich zur restlichen Bundesrepublik medizinisch gesehen sehr gut“, stellt Beske fest. „Das kostet aber auch viel Geld, was wiederum die finanzielle Situation der Ärzte verschärft.“

Hintergrund ist, dass sich in Berlin, wo im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viele Ärzte zugelassen sind, immer mehr Ärzte um den Kuchen streiten. Gab es nach KV-Angaben im Jahr 1999 noch rund 6.090 niedergelassene Ärzte, so waren es 2004 schon 6.330. Im selben Zeitraum sank jedoch die Einwohnerzahl leicht: und zwar um rund 10.000 auf 3,388 Millionen.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verteidigte am Wochenende noch einmal das geplante Arzneimittel-Sparpaket. „Es wurden zu viele zu teure Arzneimittel verschrieben“, so Schmidt. Bewährte preiswerte Medikamente würden oft durch teure Mittel ohne zusätzlichen Nutzen ersetzt. Sie will nun Ärzte dazu bewegen, weniger und günstigere Präparate zu verschreiben. Dagegen laufen die Berliner Ärzte ab heute Sturm. Die Regelung werde die „Medikamentenversorgung spürbar verschlechtern“.