Der Kapitän ging als Erster von Bord

Der Untergang der ägyptischen Fähre ist vermutlich auf einen Brand und Fehlentscheidungen der Besatzung zurückzuführen. Nach Aussagen eines Offiziers brachte Löschwasser die „Salam 98“ zum Sinken. Rettungsaktionen kamen viel zu spät

Ein Überlebender in Safaga: Es war wie auf einer brennenden „Titanic“

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

„Es gibt nichts Billigeres als unser Leben“, erklärte einer der verzweifelten Menschen, die am Tor des ägyptischen Hafens Safaga auch gestern noch auf eine Nachricht über ihre im Roten Meer vermissten Verwandten warteten. Wer Glück hatte, der konnte am Wochenende auf den immer wieder neuen, laut verlesenen Listen der Überlebenden den Namen eines Familienmitgliedes hören. Die Wahrscheinlichkeit, dass es weitere Überlebende gibt, war allerdings gering.

Von 1.400 Passagieren an Bord der am Donnerstag verunglückten Fähre „Salam 98“ konnten gestern nur 400 gerettet werden. Ganze Bauernfamilien aus dem südlichen Oberägypten, deren Verwandte sich als Arbeiter in den reicheren Golfstaaten verdingten, campierten vor dem Hafentor und wollen die Hoffnung nicht aufgeben.

Inzwischen begann auch die Suche nach der Ursache des Untergangs der „Salam 98“, die in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag auf der Fahrt vom saudischen Hafen Duba zum ägyptischen Rotmeerhafen Safaga untergegangen ist. Die bisherige traurige Bilanz: Ein veraltetes Schiff mit einer schlecht ausgebildeten Besatzung, einem inkompetenten Kapitän und eine viel zu spät angelaufene Rettungsaktion haben wahrscheinlich tausend Menschen das Leben gekostet. Nach Aussagen der Überlebenden befand sich die Fähre nur etwa 30 Kilometer von Duba entfernt, als ein Feuer an Bord ausbrach. Dessen Ursache ist bisher ungeklärt. Was folgte, war eine grobe Fehlentscheidung. Der Kapitän entschloss sich, trotz des Brandes zu dem fast 250 Kilometer entfernten ägyptischen Hafen Safaga weiterzufahren. Ein Offizier der Mannschaft teilte der ägyptischen Generalstaatsanwaltschaft inzwischen mit, dass bei dem Versuch, das Feuer zu löschen, eine große Menge Meerwasser an Bord geholt und das Schiff dadurch gefährliche Schlagseite bekommen habe. „Es war wie auf einer brennenden ‚Titanic‘“, erzählt einer der Überlebenden. Zu diesem Zeitpunkt, so die übereinstimmende Aussage der Überlebenden, hatte die Mannschaft an die Passagiere das Motto ausgegeben, „Keine Panik, es ist alles unter Kontrolle“. Wer eine Schwimmweste anhatte, wurde sogar aufgefordert, diese wieder abzulegen.

Als der Kapitän dann Stunden später doch beschloss beizudrehen, hatte das Schiff ein derart starke Schlagseite, und der Wind war so stark, dass er dieses Manöver nicht mehr ausführen konnte und die Fähre sank. Möglicherweise verhinderte die Schlagseite zu diesem Zeitpunkt, die Rettungsboote auf einer der Seiten der Fähre zu verwenden. Möglich ist auch, dass ein früherer Umbau der Fähre mit zwei zusätzlichen Decks bei dem starken Wind zur Instabilität des 35 Jahre alten Schiffes geführt hatte, obwohl das Boot damals auch zusätzlich verbreitert worden war.

Nach Aussagen einiger Überlebender soll der Kapitän mit einem Teil der Mannschaft als erster in drei Rettungsbooten von Bord gegangen sein. Doch die anschließenden Bergungsaktionen werfen viele Fragen auf. Gab es ein Notsignal? Warum lief die Rettungsaktion so spät an? Die ägyptischen Behörden versichern, es habe kein Notsignal gegeben. In Schottland wurde jedoch am Donnerstag um 1 Uhr MEZ ein Notruf aufgefangen.

Als „gut und schnell“ bezeichnete das ägyptische Staatsfernsehen gestern die Rettungsaktion. Die unabhängige ägyptische Tageszeitung Masry Al-Yom hatte dagegen einen der geretteten ersten Schiffsoffiziere interviewt. Laut seiner Aussage soll die „Salam 98“ eine halbe Stunde vor Mitternacht am Donnerstag gesunken sein. Die ägyptischen Behörden sollen erstmals um 2.30 Uhr morgens auf ein mögliches Problem aufmerksam geworden sein, nachdem zur planmäßigen Ankunftszeit keine Fähre in Sicht war. Das erste Rettungsboot verließ den ägyptischen Hafen erst um 9 Uhr morgens. Eine weitere Stunde später soll der erste Hubschrauber gestartet sein. Erst um 1 Uhr mittags, also mehr als 13 Stunden nach dem Unglück, sollen die ersten hohen Regierungsoffizielle in Safaga eingetroffen sein, um die Rettungsaktion zu koordinieren.

Die einzige positive Nachricht ist das Schicksal des 11-jährigen Mohammed. Sein Vater hatte ihm einen Rettungsring übergestülpt, als die Fähre anfing zu sinken. Nach 30 Stunden wurde der Junge lebend aus dem Wasser gefischt. Seine Eltern ertranken.