Den Wiederaufbau fest im Blick

Im pakistanischen Erdbebengebiet gibt es Anzeichen für eine Normalisierung der Lage. Hilfsorganisationen warnen vor zu viel Optimismus: Überlebende seien noch gefährdet

Die Massenhochzeit ist das sichtbarste Zeichen für einen Neuanfang nach dem BebenSo stagniert die Arbeit des UN-Entwicklungsprogramms seit mehr als zwei Monaten

BALAKOT taz ■ „Die Menschen wissen, was sie zum Überleben brauchen. Die Hilfe greift. Das Leben geht nicht nur weiter, sondern wir haben es wieder in unseren Händen“, erzählt Junaid Qasim am Rande einer Hochzeit von 25 Paaren im Zeltlager von Balakot. „Die von Armee, Dorfältesten und lokaler Verwaltung organisierte Massenhochzeit ist wohl das sichtbarste Zeichen für einen Neuanfang nach dem Erdbeben“, ergänzt ein Offizier.

Qasim ist neu gewählter Bürgermeister des Verwaltungsdistrikts Balakot, in dem vor dem Erdbeben 250.000 Menschen lebten. Der Distrikt umfasst auch das Kaghantal, das nach dem Beben vom 8. Oktober als „Tal des Todes“ bezeichnet wurde, weil dort mehr als 30.000 Menschen getötet und 70 Prozent der Häuser zerstört wurden. In 20 Zeltlagern leben 17.000 Menschen, der Rest ist in einfachen Behausungen in den Bergen untergebracht. Zwar kommen noch täglich neue Flüchtlinge aus den höheren Lagen hinzu, doch gibt es auch schon Rückkehrer, die ihre Häuser wieder aufbauen und die Frühlingssaat vorbereiten.

„Normalität hat sich eingestellt. Die Menschen wollen zu den Überresten ihrer Häuser, um wieder ein Leben ohne Abhängigkeit und mit Privatsphäre führen zu können“, sagt Oberstleutnant Quddus Khattak. Er führt ein 4.500-Mann-Regiment, das zuerst die Toten barg, dann Aufräumarbeiten und Nahrungsmittelverteilung koordinierte und bis vor kurzem winterfeste Behelfsunterkünfte in den Bergen baute. „Wir haben nicht mehr viel zu tun, bleiben aber, um nicht ein falsches Zeichen zu setzen. Nach dem Motto: Der Winter kommt, und die Armee geht in die Kaserne. Aber das Überleben der Menschen ist gesichert. Ab Ende März werden wir die Zeltlager auflösen.“

Was vor vier Wochen noch wie Durchhalteparolen geklungen hätte, kann heute als berechtigter Optimismus gewertet werden. „Auffällig ist, dass in Diskussionen mit Militärs und humanitären Helfern erstmals Fragen des Wiederaufbaus genauso viel Aufmerksamkeit bekommen wie die Nothilfe,“ sagt UN-Koordinator Jan Vandemoortele in Islamabad. Zwar warnt er vor „Überoptimismus“, da das momentan gute Wetter großen Einfluss auf die positive Stimmung habe. Doch sei auch die Verteilung der Hilfsgüter und die Versorgung der 3,5 Millionen Obdachlosen „so weit, so gut“. Momentan steht die Finanzierung der von der UNO koordinierten Hilfe mit 343 Millionen Dollar bei 62 Prozent des ermittelten Bedarfs.

„Die UN-Luftflotte hat ab Ende Februar keine Finanzierung mehr. Es werden monatlich 11 Millionen Dollar benötigt, die dann fehlen“, sagt der Regionaldirektor des Welternährungsprogramms (WFP), Amir Abdulla. „Die größte Herausforderung für die nächsten Monate und die Zeit danach bleibt, weniger den Interessen der Gebenden zu dienen, als vielmehr den Unterstützungswillen der Gebenden beizubehalten und sie zu überzeugen, das zu finanzieren, was gebraucht wird“. Trotz des Optimismus seien die Überlebenden immer noch gefährdet.

Die Verringerung der Transportkapazitäten fällt mit dem Abzug von Hubschraubern der pakistanischen Armee für den Bürgerkrieg in der Provinz Belutschistan und der Beendigung des offiziellen Hilfsmandats durch die Nato zusammen. Nur die Soldaten aus Deutschland, den USA und Großbritannien bleiben noch aufgrund bilateraler Abkommen bis mindestens Ende März im Land.

Die unterschiedliche Hilfsbereitschaft hindert auch den Übergang zur zivilen Verwaltung. So stagniert die Arbeit des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) seit mehr als zwei Monaten, da bislang nur 27 Prozent dieser nachhaltigen und längerfristigen Projekten finanziert sind. Das ist Besorgnis erregend, da UNDP vor allem lokale Verwaltungsstrukturen unterstützt.

Während die Regierung in Islamabad immer mehr Kompetenzen an die Provinzregierungen und die Armee Verantwortlichkeiten an lokale Entscheidungs- und Verwaltungsebenen abgeben, fehlen hier transparente Strukturen und Beratung. Die Regierung in der schwer betroffenen Nordwestgrenzprovinz etwa hat beispielsweise einen Lebensmittelplan verabschiedet, der schrittweise die Arbeit des WFP ersetzen soll. Ab April soll alle Nahrungsmittelhilfe über die Distrikte und Gemeinden verteilt werden. „Wir haben schon Lebensmittelkarten ausgegeben. In einem zweiten Schritt öffnen wir Läden, in denen es dafür Hilfsgüter gibt“, erklärt Qasim für Balakot.

NILS ROSEMANN