: Der Puck der Erkenntnis
EISHOCKEY Die hochfavorisierten kanadischen Hockey-Cracks verlieren 3:5 gegen den Erzrivalen USA und drohen nun die prima Olympiastimmung dauerhaft einzutrüben
RYAN KESLER, US-SPIELVERDERBER
AUS VANCOUVER MARKUS VÖLKER
Es war an Ryan Kesler, Kanada den Nackenschlag zu verpassen. Ausgerechnet der Angreifer der Vancouver Canucks schob den Puck ins leere kanadische Tor. Fünfundvierzig Sekunden vor der Schlusssirene hieß es 5:3 für die USA. Das Team der Gastgeber hatte zuvor Torwart Martin Brodeur herausgenommen, um in Überzahl zum 4:4-Ausgleich zu kommen. Doch der Mann mit der Nummer 17 auf dem Rücken durchkreuzte den Plan. Keslers Kollegen warfen sich nach seinem finalen Coup über ihn und bauten eine kleine Pyramide aus Menschenleibern. Das Publikum sah mit Grausen das Welken der Ahornblätter.
Kesler hatte sich im Vorfeld der Partie nicht gerade beliebt gemacht, als er verkündete, die Kanadier zu hassen. Erst auf Nachfrage relativierte er seine Aussage ein wenig. „Nun ja“, sagte Kesler, „vielleicht hasse ich sie nicht wirklich, aber die Kanadier haben nur Gold im Kopf und alles andere ist nicht gut genug. Wir haben offensichtlich etwas zu beweisen, und es wird sicher lustig werden, sie ein bisschen einzubremsen.“ Das ist bei den Fans der Canucks nicht gut angekommen, die ihn 2009 noch zum wertvollsten Spieler ihrer Mannschaft gewählt hatten. Und auch der Rest des eishockeyverrückten Lands war „not amused“.
In der Nacht zu Montag ist es dem US-Team um Coach Ron Wilson dann tatsächlich gelungen, den Topfavoriten auf den Olympiasieg zu ärgern. Team USA ging schon nach 41 Sekunden durch Brian Rafalski von den Detroit Red Wings in Führung. Da konnten die kanadischen Fans im „Canada Hockey Place“ noch so viele Schilder mit der Aufschrift „Das ist unser Spiel“ in die Höhe recken, man wurde den Eindruck nicht los, dass der Stein der Weisen oder, wenn man so will, der Puck der Erkenntnis längst nicht mehr im Besitz der Kanadier ist. Sie liefen das gesamte Spiel einem Rückstand hinterher.
Glichen sie aus, dann waren die US-Amerikaner mit eiskalter Berechnung zur Stelle. Abgebrüht nutzten sie ihre Chancen. Bei den Schüssen aufs Tor des grandios haltenden Keepers Ryan Miller von den Buffalo Sabres lagen die Kanadier zwar mit 45:23 vorn, aber sie konnten den US-Goalie eben nur dreimal überwinden. „Er hat einige dicke Dinger gehalten“, musste auch der Jungstar der Kanadier, Sidney Crosby, anerkennen, der zwar ein Tor erzielte, aber auch bei drei amerikanischen Gegentoren auf dem Eis war.
Während die US-Boys diesen „gewaltigen Sieg“ (Angreifer Patrick Kane) über den nordamerikanischen Rivalen feierten, musste Kanada nun bereits den zweiten Rückschlag hinnehmen. Gegen die Schweizer hatten sie sich mit Ach und Krach im Penalty-Schießen durchgesetzt, nachdem es nach sechzig Minuten 2:2 gestanden hatte. Und jetzt mussten sie sogar eine schmerzliche Niederlage hinnehmen. Das war so nicht geplant.
Die Fans, die ihre „Maple Leafs“ stolz wie Bolle auf der Brust mit sich herumtragen, waren von einem Durchmarsch ihrer Jungs in Rot-Weiß ausgegangen. Was sollte schon schiefgehen im Heimatland des Hockeys? Jetzt fragt man sich freilich bei aufkeimender Verunsicherung: Drohen wir an der hohen Erwartungshaltung zu scheitern? Ist das Team doch nicht gut genug für die Besteigung des Olymps? Ist die Mischung aus erfahrenen Profis wie Scott Niedermayer, Joe Thornton oder Jerome Ignila und Newcomern wie Sidney Crosby die richtige? Ist Martin Brodeur außer Form, das Team zu wenig eingespielt?
Trainer Mike Babcock versuchte, das Positive in der Niederlage zu sehen. Es sei doch gar nicht so schlecht, wenn man jetzt noch ein Spiel zusätzlich habe, bevor dann die Viertelfinalspiele anstehen. Kurioserweise bekommen es die Kanadier in der Hoffnungsrunde mit dem Verliererteam aus Deutschland zu tun, Dienstagnacht 1.30 Uhr deutscher Zeit. Die Organisatoren des olympischen Eishockeyturniers haben sich für diesen merkwürdigen Modus entschieden. Er bringt die Deutschen ins Rampenlicht, den Kanadiern die Chance zur Wiedergutmachung. „In jedem Spiel, das jetzt noch ansteht, geht es ums Überleben“, sagte Coach Babcock. Dem ist eigentlich nur noch hinzuzufügen, dass es auch darum geht, eine nationale Katastrophe zu verhindern.
Wie schön, dass es in der Stunde des Schmerzes so nette Leute wie den Coach der Amis gibt. Die Kanadier seien immer noch das stärkste Team im Turnier, behauptete Ron Wilson kühn. Den Beweis werden die Kanadier in den kommenden Spielen erbringen müssen, denn bislang waren sie nur die größte Enttäuschung des olympischen Eishockeyturniers.
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