Von Tulpen und Hedge Fonds

REGIONALFESTIVAL Die Phaenomenale untersucht das Thema „Risiko Unlimited“ in Wolfsburg und Braunschweig aus künstlerischer und wissenschaftlicher Sicht

Die Kunstvereine in Wolfsburg und Braunschweig gehen eine historische Allianz ein

Wohl keine gesellschaftliche Praxis ist in den letzten Monaten derartig abgewrackt wie die der Spekulation, die quasi verkommen ist zum Synonym für finanzielle Zockereien. Reflexhaft flackert in Krisenzeiten dann das Allheilmittel der Regulierung auf. Aber ist ein Vertrauen in die Steuerbarkeit gesellschaftlicher Systeme überhaupt noch berechtigt? Oder anders herum gefragt: Wie viel Risiko ist eine Gesellschaft ohnehin gezwungen, einzugehen? Paradoxerweise ist ja die strikte Einhaltung von Regeln, also der „Dienst nach Vorschrift“, mitunter der Weg eines kalkuliert erhöhten Risikos. Dienen somit Vorschriftsverletzungen nicht geradezu der Risikoreduzierung?

Ein wenig Übersicht in derartig gedankliches Dickicht will das diesjährige Programm der Phaenomenale bringen, das Science & Art Festival in der Region Wolfsburg-Braunschweig. Unter dem Titel „Risiko Unlimited“ versammeln 15 Partner des Wolfsburger Phæno rund 30 Veranstaltungen aus Kunst und Wissenschaft, die meisten finden zwischen dem 25. und 28. Februar statt.

Anders als bei Festivals, die sich einer künstlerischen Gattung widmen, soll hier die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema im Vordergrund stehen. Dementsprechend bunt ist das Angebot.

So werden der Sammler Rick Reinking und die Kuratorin Susanne Prinz Modelle der Wert(ab)schöpfung im Kunstmarkt vorstellen, sei es als Renditefonds für Anleger oder als Pensionstrust beteiligter Künstler. Ein renommierter Finanzberater wird „Die große Krise“ mit einem Fragezeichen versehen, ein niedersächsischer Versicherer, ein Klimaforscher der TU Braunschweig und andere Experten sollen Auswirkungen des Klimawandels vor Ort reflektieren.

Die Autostadt in Wolfsburg steuert drei Workshops für Kinder bei. In einem wird eine Brücke aus Wellpappe gebaut, deren Tragfähigkeit unter der Aufforderung „Trau Dich!“ in einem Selbstversuch der Kinder getestet werden soll. Im Phæno können sich Erwachsene einen Tag lang im Labor mit Fragen der Gentechnik vertraut machen.

In einer geradezu historischen Allianz gehen die beiden Kunstvereine der Städte mit jeweils eigenen Schauen Aspekten des Spekulativen nach. Spekulation und Spektakel bilden den inhaltlichen Überbau im Wolfsburger Kunstverein. In Braunschweig nimmt sich das Künstlerkollektiv Jochen Schmith gesellschaftliche Mechanismen vor, die Wert generieren. Als erste dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte gilt die „Tulpenmanie“ des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, als die exotischen Blumenzwiebeln zu Preisen eines Bürgerhauses gehandelt wurden – und dann über Nacht ihren spekulativen Wert einbüßten. Ein Blumenbouquet im Stile Jan Brueghels verweist aufs Ereignis.

Natürlich birgt das muntere Programm der Phaenomenale das Risiko ambitionierten Scheiterns. Allerdings lassen sich zwei Erfolge schon im Vorfeld verzeichnen. Zum einen ist es wohltuend, wenn nicht immer nur der VW-Konzern als unmittelbarer Kultur-Motor der Region auftritt. Und zum zweiten scheint die tumbe Städtekonkurrenz der lokalen Politik durch die vielfältigen kulturellen Verflechtungen zwischen Braunschweig und Wolfsburg bereits ebenso lässig ausgebremst.

BETTINA MARIA BROSOWSKY

Phaenomenale 2010: Science & Art Festival. 25. – 28. 2.