: „Die Sparkasse der Politik“
Im öffentlichen Dienst wird schon seit Jahren an Lohnerhöhungen gespart, kritisiert die Expertin Gisela Färber. Den Abbau von Stellen hält sie aber für unvermeidbar
taz: Frau Färber, im öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg wird gestreikt, weil die Angestellten 18 Minuten täglich mehr arbeiten sollen. Was bedeutet die 40-Stunden-Woche für den öffentlichen Dienst?
Gisela Färber: Längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich bedeuten eine Lohnkürzung. Das sehen Beschäftigte und Gewerkschaft natürlich nicht gerne.
Wie stehen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatwirtschaft da?
In der Privatwirtschaft haben wir unterschiedliche Situationen. In einigen Bereichen gab es auch hier Arbeitszeitverlängerungen, vor allem dort, wo Branchen kriseln. Der öffentliche Dienst hat für vieles schon bezahlt, was in der Privatwirtschaft erst jetzt verhandelt wird. Ich habe berechnet, dass die Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst seit der Wende etwa dem Inflationsausgleich entsprechen. In der Privatwirtschaft gab es hingegen deutliche Reallohnerhöhungen.
Warum muss im öffentlichen Dienst gespart werden?
Durch Steuerreformen und andere kostspielige Gesetze des Bundes stehen die Kommunen unter finanziellem Druck. Man hat sich verschuldet, man zahlt hohe Zinsen, obwohl das Zinsniveau niedrig ist. Also wird der öffentliche Dienst ins Visier genommen. Der war schon seit längerem die Sparkasse der Politik. Das spiegelt sich in den Lohnentwicklungen der letzten 15 Jahre wider.
Wie sollte die Politik dieses Problem lösen?
Viele Haushaltsprobleme sind ungelöst. Wenn der Staat sagen würde, die 40-Stunden-Woche ist euer Sanierungsbeitrag, bei dem bleibt es auch, dann könnte man sicher mit der Gewerkschaft darüber reden. Aber die jetzige Situation ist eine schlechte Verhandlungsbasis für die Gewerkschaften.
Ver.di fürchtet, dass durch die 40-Stunden-Woche Stellen abgebaut werden. Bedeutet die Mehrarbeit einen Stellenabbau?
Es ist ohnehin unvermeidbar, dass im öffentlichen Dienst Stellen abgebaut werden. Wir können den öffentlichen Dienst nicht so erhalten, wie er jetzt ist. Demnächst erreicht uns der demografische Knick. Da können wir nicht sagen, wir lassen alles beim Alten. Das aber allein über Mehrarbeit zu regeln, halte ich für falsch.
Haben Sie Verständnis für die Proteste von Ver.di?
Der öffentliche Dienst hat seit Jahren seinen Anteil geleistet. Man müsste ihm auch einmal gutschreiben, was er bisher erbracht hat. Dass es jetzt Tarifauseinandersetzungen gibt, damit die Finanzpolitik wieder Mittel für irgendwelche anderen Projekte hat, würde ich anstelle von Ver.di auch nicht akzeptieren.
INTERVIEW: KERSTIN SPECKNER
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