Lieber Kongo-Kobler!

KONGO Der nächste Chef der größten UN-Mission wird ein Deutscher. Das wird spannend. Denn die UNO fährt ihr Kongo-Mandat derzeit gegen die Wand

■ ist taz-Korrespondentin im Afrika der Großen Seen, mit Sitz in Uganda, wo sie seit 2008 lebt. In den letzten Jahren hat sie kontinuierlich über Entstehung und Verlauf des Krieges im Kongo aus der Nähe recherchiert.

Glückwunsch, Herr Kobler! UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat ausgerechnet Sie als Deutschen zum Chef der UN-Mission im Kongo (Monusco) ernannt, mit 1,4 Milliarden Dollar und über 17.000 Blauhelmen die aufwendigste und teuerste weltweit. Das ist doch was. Nun muss sich Deutschland neben Hochwasser und Bundestagswahlen auch wieder mit der Krise im Herzen Afrikas auseinandersetzen.

Es wird keine leichte Aufgabe. Der Ostkongo, seit Jahrzehnten Kriegsgebiet, ist derzeit Experimentierfeld der UN-Friedenspolitik. Immerhin hat man in New York festgestellt, dass es keinen Sinn macht, „Friedenshüter“ in einen Dschungel zu schicken, in dem alles herrscht, bloß kein „Friede“.

So passierte es, dass im November 2012 Kongos neueste Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) lächelnd und winkend an den UN-Panzern vorbeimarschierte und die ostkongolesische Provinzhauptstadt Goma einnahm. Die indischen Blauhelme guckten tatenlos zu. Durch regionalen diplomatischen Druck zog die M23 nach elf Tagen wieder ab.

Es war eine Blamage nicht nur für Kongos marode Armee, sondern auch für die UNO. Was wollen Sie nun anders machen, Herr Kobler? Damals führte Diplomatie zu Verhandlungen. Aber aus der Blamage in Goma resultierte folgendes UN-Experiment, welchem Sie jetzt vorstehen sollen: Eine 3.000 Mann starke neue Eingreiftruppe wird aktiv gegen Milizen vorgehen.

Ein Stück Kongokuchen

So weit die Idee. Doch in der Praxis gibt es Streit. Tansania, Malawi und Südafrika haben sich als Truppensteller bereit erklärt. Aber nicht um des Friedens im Kongo willen, sondern aus Eigeninteresse. Tansania will endlich auch mal ein Stück Kongokuchen und streitet sich mit dem Nachbarn Ruanda um die Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Diese Nachfolgegruppe der Milizen, die 1994 in Ruanda den Völkermord an den Tutsi verübten, führt von Kongo aus Krieg gegen Ruanda. Tansania verlangt von Ruanda Verhandlungsbereitschaft mit der FDLR. Ruanda lehnt das ab und beschuldigt Tansania, die FDLR zu unterstützen. Sobald die UN-Eingreiftruppe startklar ist, können die Streithähne unter UN-Mandat ihren Konflikt austragen.

Malawi hat Querelen mit Tansania um die Grenzziehung. Malawis Militärs machen andererseits mit UN-Missionen gerne Geld. Südafrika wiederum ist sauer: Man hatte darauf spekuliert, den neuen UN-Truppenkommandeur im Kongo zu stellen. Doch der Posten ging an einen Brasilianer. Die neue Eingreiftruppe wiederum wird von einem Tansanier befehligt. Südafrika geht leer aus.

UN-Politik mit Todesfolge

Die UN schicken hier keine kohärente Truppe an die Front, sondern erweitern den Zirkus der bewaffneten Gruppen einfach um drei weitere Spieler. Mit Verzögerung: Die ersten Einheiten begannen Anfang Juni erst einmal mit Patrouillen in und um Goma herum. Doch das tun die bisherigen Blauhelme auch. Die Verzögerung haben die M23 und die Regierungsarmee erfolgreich ausgenutzt, um im Mai am Stadtrand per gegenseitigem Artilleriebeschuss einen Bombenhagel zu veranstalten, in welchem auch Zivilisten ums Leben kamen. Das heißt: Die Politik der UN führte bereits jetzt zu Toten.

Und wenn die Truppe einmal steht, was soll sie dann eigentlich tun? Auch hier gibt’s Zoff. Im Vorfeld erstellte ein Offiziersteam der Regionalorganisation ICGLR (Internationale Konferenz der Großen Seen) Lageberichte. Das Grundproblem: Man muss erst einmal überblicken, welche Milizen wo sitzen. In den beiden Kivu-Provinzen spricht man von insgesamt über 50 bewaffneten Gruppen.

Mit jeder dieser Gruppen müsse man einzeln umgehen, so die Empfehlung der ICGLR. Eine Idee war, jeder Miliz eine Frist zur freiwilligen Entwaffnung zu setzen und ihr einen von der Eingreiftruppe gesicherten Versammlungsort zuzuweisen. Erst wenn sich eine Gruppe weigert, würde die neue Eingreiftruppe zuschlagen.

Davon will aber ihr tansanischer Kommandeur nichts wissen. Er vertritt die SADC (Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika), eine Konkurrenzinstitution zur ICGLR, und hat ein eigenes Konzept: Nord-Kivu wird in vier Sektoren eingeteilt und für jeden gibt es eine „Aufräum-Strategie“, egal wer auf welchen Hügeln hockt. Dafür fährt die Eingreiftruppe auch schwere Artillerie auf. An erster Stelle der Abschussliste steht die M23.

Schutz der Zivilbevölkerung

Zum Glück haben Sie, Herr Kobler, Erfahrungen aus den UN-Missionen in Irak und Afghanistan! Jetzt sind wir alle neugierig

Wie ist diese Taktik mit dem UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung vereinbar, Herr Kobler? Dazu kommt: Jeder Rebell kennt jeden Busch und jeden Hügel wie seine Westentasche. Die ausländischen Eingreifer kennen nichts. Wie groß wird das Gejammer, wenn Blauhelme fallen?

Die UNO antwortet darauf mit einem Griff in die Trickkiste modernster Kriegsführung: unbemannte Aufklärungsdrohnen. Das mögen wir Deutschen ja. Das neue unbemannte Überwachungssystem darf niemand in der Monusco „Drohne“ nennen. Weil die UN offiziell keine Spionage betreiben darf, muss man das als „Schutz der Bevölkerung“ verpacken. Aber wie das gehen soll und wer Zugang zu den Informationen aus den Hochauflösungskameras bekommt – auch darüber wird noch gestritten.

Und, Herr Kobler, da war ja noch was: Kongos marode Armee, die laut UN-Mandat von den Blauhelmen unterstützt wird. Welche Rolle spielt sie? Im November begingen aus Goma fliehende Armeeeinheiten Massenvergewaltigungen. Bei den jüngsten Gefechten im Mai gaben sich Armeeoffiziere als Kriegstreiber: „Wir werden Ruanda als unsere zwölfte Provinz erobern“, drohte ein hochrangiger Offizier an der Front. Seit Monate statten Offiziere im Hinterland Stellvertretermilizen aus, die dann wiederum von der Eingreiftruppe bekämpft werden sollen.

Zum Glück haben Sie, Herr Kobler, Erfahrungen aus den UN-Missionen in Irak und Afghanistan! Jetzt sind wir neugierig, welche Konsequenzen Sie daraus für den Kongo ziehen. Wird die Monusco auf die militärische Karte setzen – oder auf regionale diplomatische Lösungen? Und welche Grundhaltung werden Sie gegenüber Kongos Regierung einnehmen, die für einen Großteil der Probleme im Osten verantwortlich ist? SIMONE SCHLINDWEIN