Die ideale Grätsche

„Sommer vorm Balkon“-Star Nadja Uhl spannt gekonnt den Bogen zwischen Autoren-Kino und TV-Filmen. Heute ist sie in dem feinen kleinen ARD-Thriller „Dornröschen erwacht“ (20.15 Uhr) zu sehen

VON PETER LULEY

„Sommer vorm Balkon“, der beseelte Kinofilm von Andreas Dresen, ist bereits so vielstimmig besungen worden, dass man sich fast scheut, ihn schon wieder zu erwähnen. Muss aber sein: Als Berliner Altenpflegerin Nike, die tagsüber im sexy Fummel durch die Wohnungen ihrer Patienten tobt, sich die Abende mit ihrer Nachbarin schön trinkt und vorübergehend das Glück in Gestalt eines tumben Truckers gefunden zu haben glaubt, spielt Nadja Uhl eine ihrer schönsten Rollen.

Erdig berlinernd („klar kann ick Kodderschnauze“) beschreibt sie selbst ihre Figur: Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase habe die Nike halt so entworfen, „wie ’n Knallbonbon, mit SOLCHEN Absätzen, Glitzer, Lipgloss, Seidenbluse“. Dass Nikes Look nicht nur dem geschilderten Milieu und einer gewissen Torschlusspanik geschuldet ist, sondern durchaus auch eine Kompensation ihres Jobs sein könnte, erfuhr Uhl bei einem rollenbezogenen Praktikum in der Altenpflege: Als sie am ersten Arbeitstag nach Hause kam, habe sie plötzlich so einen „Lebenshunger“ gespürt, weil ihr die Vergänglichkeit bewusst geworden sei: „Ich hab meinen Freund angerufen und gesagt: Ich find’s gerade total schön, dass wir noch so viel Lebenszeit vor uns haben.“

Bekannt geworden ist die in Stralsund geborene Uhl, 33, vor sechs Jahren durch Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“; an der Seite von Bibiana Beglau erspielte sie sich einen Silbernen Bären und die Aufmerksamkeit guter Regisseure. International verschaffte ihr die Mitwirkung in der niederländischen Produktion „Die Zwillinge“ 2004 einen Hollywood-Ausflug: dank einer Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film.

Gleichwohl – und trotz TV-Erfolgen wie „Das Wunder von Lengede“ – gehört die an der Theaterhochschule Leipzig ausgebildete Schauspielerin nicht in die Kategorie Publikumsstars. Dazu hat sie ein zu großes Faible für feine kleine Filme. Wie jetzt „Dornröschen erwacht“, die zweite Regiearbeit von Nachwuchstalent Elmar Fischer („Fremder Freund“). An Uhls Seite agieren mit Misel Maticevic, Marie-Lou Sellem und Ulrich Tukur ausnahmslos exzellente Kollegen.

Die Geschichte einer Koma-Patientin, die nach drei Jahren wieder aufwacht und sich in ihrem Leben nicht mehr zurechtfindet, mag medizinisch nicht gerade wahrscheinlich sein. Doch die Koma-Exposition funktioniert als Aufhänger für eine morbide Psycho-Studie, in deren Verlauf die Genesende erkennen muss, dass ihr Mann inzwischen mit ihrer einst besten Freundin zusammenlebt, während sich die eigene Tochter seltsam abweisend verhält. Was hat es auf sich mit dem Autounfall, bei dem sie ins Koma fiel, welche Rolle spielt der behandelnde Arzt, und wem kann sie überhaupt noch trauen? Auch weil Uhl ihre Figur nicht als Opfer überbetont, stellt man sich diese Fragen ziemlich lange.

Dass sie demnächst in dem Teamworx-Eventschocker „Die Sturmflut“ zu sehen ist, der die Hamburger Katastrophe des Jahres 1962 als Actionreißer mit Liebesdreieck aufbereitet, muss einen nicht wirklich irritieren. Zu klar liegt die Herausforderung auf der Hand, sich auch ab und an in großen Sets zu erproben. „Ich bin vor allem dankbar, weil die Mischung in den letzten zwei Jahren ideal war“, sagt Uhl. 2004 „Sommer vorm Balkon“ und „Sturmflut“, 2005 „Dornröschen erwacht“ und der Jo-Baier-Film „Nicht alle waren Mörder“ – „wenn sich so unterschiedliche Arbeiten gegenüberstehen, ist das für mich die ideale Grätsche.“ Freimütig erzählt sie, dass es im Fall der „Sturmflut“ bei ihren Beratern klare Meinungen gegeben habe: „Nadja, dein Arthouse-Kino in Ehren, aber du musst mal aus der Ecke raus und was für deinen Marktwert tun, dadamdadamdadam.“ Uhl redet über ihre Arbeit so reflektiert und offen wie wenige Schauspieler(innen) in Deutschland. Bleibt nur zu hoffen, dass der Spagat weiter so gut gelingt – auch wenn jetzt erst mal eine kleine Pause ansteht: „Man muss ja zwischendurch auch mal leben, um wieder was spielen zu können.“