Auf Erkennen und Deuten getrimmt

VORTRAG Das Theater im „Tatort“ war das Thema eines Vortrags im HAU von Matthias Dell, dem pointierten „Tatort“-Kritiker und mit analytischem Besteck arbeitenden Krimi-Fan

Heiß ist es am Montagabend im HAU 3, die etwa 50 ZuschauerInnen fächern mit ihren Programmen und schwitzen auf den Stühlen. Matthias Dell, Kulturredakteur beim Freitag und pointierter „Tatort“-Kritiker, hat eingeladen zu seinem Vortrag „Hans Drache hat das Stück noch gelesen“. Um das Theater im „Tatort“ soll es gehen und um dessen Inszenierung bei den ritualisierten Sonntagabendmorden im Fernsehen. Zunächst aber spielt Johannes von Weizsäcker als Einmannband unter dem Bandnamen Erfolg.

Die beiden Programmpunkte, Vorband und Vortrag, haben nichts miteinander zu tun. Vielleicht Künstlernothilfe oder Freundschaftsdeal. Von Weizsäcker singt von Männern an Friteusen und davon, mal was ohne Anführungszeichen machen zu wollen. Die Menschen im Publikum lachen, man scheint sich zu kennen. Dell sitzt in der ersten Reihe und richtet seine Schnürsenkel. Dann ist er dran. Und freut sich über das „total Brechtianische“ an diesem Abend: „Erfolg hat nichts zu tun mit meinem Vortrag.“

Bertolt Brecht, das epische Theater, distanzierte Ästhetik, Identifikation verhindern, man erinnert sich dunkel. Erklärt wird diese Referenz aber nicht. Überhaupt quillt Matthias Dell seine literaturwissenschaftliche, auf das Erkennen und Deuten intertextueller Bezüge getrimmte Herkunft aus allen Poren.

Das ist nicht schlimm und in seinen „Tatort“-Kritiken in der Zeitung überaus unterhaltsam. Als Vortragender fehlt ihm indes die Ruhe. Man merkt, hier spricht ein „Tatort“-Aficionado. Einer, der alle der bis jetzt fast 900 Folgen gesehen hat. So viel hat Dell zu sagen, dass das Zuhören nach kurzer Zeit anstrengt. Ohne jede Einführung, warum er sich nun mit der Darstellung von Theater bei dem Fernsehkrimi beschäftigt, geht es gleich los mit Filmausschnitten, Namen, Zitaten, Verweisen.

Bei Dells Untersuchung soll es sowohl um den physischen Raum gehen, also das Theater als Inszenierungsort für Tod und Verbrechen, als auch um das theatrale Gebaren der DarstellerInnen. Um seine Beobachtungen zu verdeutlichen, zeigt Dell kurze Ausschnitte aus „Tatort“-Produktionen. Dazu spricht er zunächst ausführlich über die Szene. Dann zeigt er die Filmsequenzen, was doch ziemlich redundant ist. Dell ist Akademiker, seine Beobachtungen zum Theater sind analytischer Natur, durchaus interessant, nicht alle seine Schlüsse will man teilen.

Roter Teppich mitgespielt

Der Vortrag hat jedoch auch sehr plausible Momente. Etwa, als Dell über die Sprache als Distinktionsmechanismus spricht und als Beispiel einen Ausschnitt aus dem Tatort „Alles Theater“ von 1989 zeigt. Da gibt Hans Drache als Kommissar Bülow im schicken Dreiteiler den überheblichen Oberschichtencasanova, der mit seinem Assistenten, einem „stullig-bodenständigen Berliner“, umspringt, wie es ihm beliebt. Das Theater wird in der gezeigten Szene zur schichtspezifischen Abendgestaltung. Bülow steht für die alte Schule, kauft Frauen Blumen, artikuliert sich gewählt und geht ins Theater, diesen Hort der Hochkultur. Sein Assistent wiederum kann mit Theater jar nüscht und belustigt sich darüber. Dell: „Der Kommissar spielt den roten Teppich immer gleich mit, auf dem er wandelt.“ Schön gesagt.

Erhellend auch der Moment, in dem Dell die ganze Veranstaltung an diesem Montag zusammenfasst, indem er über eine Filmszene sagt: „Da möchte man dann doch gerne noch einmal Student der Theaterwissenschaften sein und eine ambitionierte Hausarbeit schreiben, vielleicht mit dem Titel: ‚Die Geburt des Krimis aus dem Geist des Theaters.‘“ Vielleicht sogar gleich eine Promotion? ANNE-SOPHIE BALZER