Toll-zärtlicher Spuk

Theatrale Turbulenzen: Benjamin Brittens „Sommernachtstraum“ am Goetheplatz

Dass eine zeitgenössische Oper für einen Repertoire-Renner taugen könnte, ist eher unwahrscheinlich. Und doch: Mit der neuen Inszenierung von Benjamin Brittens „Sommernachtstraum“ am Bremer Goetheplatztheater könnte das möglich werden. Denn der australische Regisseur Barrie Kosky, der zum ersten Mal in Bremen arbeitet, zauberte theatralische und witzige Turbulenz, dass es nur so eine Freude war.

William Shakespeares Geniestreich eines trickreich-amourösen Verwirrspiels, des Ineinander von Menschen- und Geisterwelt, das Alfred Polgar einmal ein „unbegreifliches Werk von ewiger Melodie“ genannt hat, wird oft erzählt als Spiel der Bezauberung, der Verzauberung, als toller und zärtlicher Spuk.

Nicht so hier, wenn die Wahrheit menschlicher Beziehungen auf das Realistischste und teilweise auch Brutalste befragt wird. Die Ehe des Elfenkönigs Oberon mit Titania ist angeschlagen, Titanias Liebschaft mit dem Inder und seine eigene Homoerotik sind schon ein Thema für sich. Sein Gehilfe Puck verwirrt in seinem Auftrag die Gefühle der Menschen, indem er ihnen einen Zaubersaft ins Auge träufelt, der die augenblickliche Verliebtheit in das erste, was die Personen nach dem Aufwachen sehen, bewirkt.

Das trifft die menschlichen Liebespaare Demetrius und Helena und Lysander und Hermia: kann schon sein, dass man sich derart in die Wolle gerät und gegenseitig ins Schwimmbecken schmeißt wie hier. Und auch die Rüpelszene mit ihren Donizetti- und Bellini-Parodien kommt glänzend rüber, wenn die Handwerker versuchen, das alte Märchen von „Pyramus und Thisbe“ aufzuführen. Aber Kosky lässt trotzdem keinen Zweifel daran, dass alles ein Traum ist, ein sehr böser zum Teil.

Brittens 1960 uraufgeführte Musik, wenngleich der genialen Schauspielmusik von Felix Mendelssohn nicht vergleichbar, entwickelt sich aus einer fluktuierenden Dreiklangsmelodik, sozusagen glissandierende Rutsch-und Hangelpartien: keine Beständigkeit. Das kleine Kammerorchester mit sieben Holzbläsern, vier Blechbläsern, Harfe, Celesta und Cembalo führte Dirigent Florian Ludwig zu präzisen und farbigen Charakterisierungen.

Kein Wald, dafür ein Raum mit überdimensionaler Wendeltreppe, in den das Publikum zum Teil durch Lichteffekte miteinbezogen wird: Die Feen – toll der Kinderchor – wie aus einer Großstadtrevue (kongeniale Bühne von Michael Zerz und Kostüme von Alfred Mayerhofer).

Es zeichnet die Regie besonders aus, dass sie nicht nur tobt, sondern bewegende Momente der inneren Stille zeigt: als die Liebespaare aus dem falschen Traum erwachen, führt Kosky sie in Così-fan-tutte-artige Dimensionen: unendlich allein, fast nackt ziehen sie vor dem Publikum außerhalb der Szenerie vorbei, um eine nicht unbedingt schöne Erfahrung reicher.

Glänzend machen das Sybille Specht und Dunja Simic, Benjamin Bruns und George Stevens. Aber auch Jennifer Bird verwandelt sich in eine emotional angerührte, eindrucksvoll singende Titania. Der Countertenor Matthias Koch als Oberon klang sehr künstlich, Karsten Küsters drehte als liebestoller Esel mit der ihm eigenen Wucht auf und Mihai Zamfir sorgte als Thisbe für den Druck auf die Lachmuskeln. Und Eva Gilhofer in der Sprechrolle des Puck: kein spaßiger Wirbelwind, sondern ein weiser Zeremonienmeister menschlicher Emotionen. Zu Recht Riesenbeifall. Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 11. und 16. Februar sowie 1., 10. und 26. März. Karten unter ☎ (0421) 36 53 333, weitere Termine unter www.bremertheater.com