Bauerntäter

Der „Tagesspiegel“ entlässt Redakteur, der Susanne Osthoff für Grimme-Preis vorschlug und die Meldung der eigenen Medienseite zuspielte

VON HANNAH PILARCZYK

Ein „Bauernopfer“ sei Jost Müller-Neuhof. Sagen die Kollegen des entlassenen Politikredakteurs vom Berliner Tagesspiegel. Ein Bauernopfer, an dem die Chefredaktion ihre Härte gegenüber journalistischen Fehlgriffen beispielhaft vorführen will. Mehr sagen die Kollegen aber nicht. Denn von der Chefredaktion wurde auch ausgegeben, dass keiner mit der Presse reden darf. Die Drohkulisse, dass es ihnen dann wie Müller-Neuhof erginge, musste da wohl nicht mehr aufgebaut werden.

Seit dem 13. Januar tobt ein Sturm der medialen Empörung, in dessen Auge der Tagesspiegel sitzt (siehe taz vom 31. 1.). Auslöser war eine kleine Nachricht auf der Medienseite der Berliner Tageszeitung: Unter der Überschrift „Grimme-Preis für Susanne Osthoff?“ meldete der Tagesspiegel exklusiv, dass beim Grimme Institut der Vorschlag eingegangen sei, die ehemalige Geisel für ihre Auftritte in ARD und ZDF für den begehrten Fernsehpreis zu nominieren. Erst war es, wie üblich, noch ruhig im Auge des Sturms: Vor allem die Bild stürzte sich auf die Meldung, kippte sogar ihr freizügiges Seite-1-Girl für die verhüllte Archäologin aus dem Blatt. Keine zwei Wochen später kam heraus: Der Vorschlag für die Nominierung geht auf einen Tagesspiegel-Redakteur zurück – Müller-Neuhof.

Von einer „Medieninszenierung“ spricht daraufhin der Chef des Grimme Instituts, Uwe Kamann. Und Spiegel und Focus legen nach, greifen den verantwortlichen Redakteur der Medienseite, Joachim Huber, direkt an. Die Bild-Zeitung skandalisiert sogar auf ihrer prominenten Nachrichtenseite, dass Huber weiterhin in einer Jury für den Grimme-Preis sitze. Was nicht stimmt, weil Huber zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Jury ausgetreten ist – einen Tag später macht ihn das auf der Titelseite der Bild zum „Verlierer des Tages“. Noch einen Tag später ist Huber nicht mehr Leiter der Medienseite. Erst einmal ist er beurlaubt – „über die weitere berufliche Zukunft soll noch entschieden werden“, meldet die Süddeutsche Zeitung gestern.

Hat es also den Richtigen getroffen, den, der die Öffentlichkeit mit dieser „Medieninszenierung“ getäuscht hat? Wohl kaum. Abgesehen von der heuchlerischen Empörung über Hubers Verquickung von Berichterstattung und Jury-Mitgliedschaft, gibt es nämlich ein Problem: Müller-Neuhof soll den Kollegen Huber überhaupt nicht informiert haben, dass der Vorschlag für die Osthoff-Nominierung von ihm selbst komme. Ein Zusammenspiel über Bande zwischen Kollegen – nach dieser Darstellung lässt sich das nur noch schwer halten.

Wie genau es dann an diesem Montag zur Entlassung von Müller-Neuhof kam, ist nur schwer nachvollziehbar. „Kein Kommentar in der Sache“, heißt es von den Chefredakteuren Lorenz Maroldt und Stephan-Andreas Casdorff sowie von Herausgeber Giovanni di Lorenzo. Wahrscheinlich war aber entscheidend, dass sich Müller-Neuhof zwar für das Zuspielen seines Vorschlags an die Medienseite entschuldigte, aber nicht in der gewünschten Form – die Möglichkeit dazu soll ihm mehrfach geboten worden sein.

Nun sind also zwei Redakteure über einen – von der Grimme-Jury übrigens noch nicht mal aufgenommenen! – Vorschlag für einen Medienpreis gestolpert. Prompt relativierte das Grimme Institut gestern seine Kritik. Es bleibe zwar bei der früher getroffenen Feststellung, „dass es sich beim Ursprung der Veröffentlichung um eine inszenierte Mediengeschichte handelt“. Doch sei „dies nicht als schwerwiegender oder empörter Vorwurf zu interpretieren“.

Was von der ganzen Sache bleibt? Wohl nur die Erkenntnis, dass auch eine „Medieninszenierung“ medial inszeniert werden kann.