Stuttgart bleibt ein bisschen sauber

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di achtet in Stuttgart auf eine moderate, aber langatmige Streikstrategie. Auch die Streikposten mögen ihre saubere Stadt. Sie wollen nicht gegen die Bürger, sondern für bessere Zukunftschancen kämpfen

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Die Stuttgarter Königstraße ist so sauber wie an jedem anderen Tag. Ein Häuflein Zigarettenkippen, ein paar Fastfood-Verpackungen, einige verspätete Herbstblätter auf den Treppen am Königsbau. Einen Tag nach Beginn des Streiks der kommunalen Bediensteten im Ver.di-Bezirk Stuttgart ist wahrlich noch nicht zu erkennen, dass die Müllwerker im Ausstand sind. Eben deshalb, sagt Ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger, sei man auf Durchhalten „für mehrere Wochen“ eingestellt. Die Hausmülltonnen werden von der städtischen Entsorgungsfirma AWS normalerweise alle 14 Tage geleert.

Die Streikstrategie, die die kommunalen Arbeitgeber zum Nachgeben zwingen soll, ist ausgefeilt. Die Härten sind abgemildert, die Information der Öffentlichkeit generalstabsmäßig vorbereitet. Die Müllabfuhr kümmert sich weiter um den Abfall von Altenheimen und Kliniken, die Kindertagesstätten werden abwechselnd bestreikt. Kliniken sind nur an einzelnen Tagen betroffen.

Im Streik sind auch Bedienstete von Garten-, Friedhofs- und Tiefbauamt, Stadtreinigung, Politessen und Standesamt. In der zweiten Phase sollen auch die Landesbediensteten einbezogen werden. Bernd Riexinger, gerade vom Einsatz auf der Straße zurück, stellt das Megafon ab und entschuldigt sich: „Ich bin e bissle heiser.“ Der ganze Mann strahlt Energie aus, als wolle er den Arbeitskampf ganz alleine gewinnen. Die große Beteiligung hat ihm Auftrieb gegeben.

Dass der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster (CDU) Ver.di vorgeworfen hat, man streike gegen die Bürger, sei, so Riexinger, „völliger Quatsch“. Es gehe gar nicht mehr nur um den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche, sondern „um ganz zentrale Fragen der Zukunft, darum, dass „die einen immer länger schaffen und die anderen gar keine Arbeit haben“. Es müsse endlich „eine Grenze gezogen werden gegen die Dauerangriffe auf die Tarifverträge“.

Das Tor der Heinrich-Baumann-Straße 4 im Stuttgarter Osten ist mit einer rotweißen Plastikkette abgesperrt. Vor dem Betriebshof der AWS wachen fünf Gewerkschafter und Vertrauensleute. Hier werden Müllfahrzeuge gewartet und eingesetzt. Es kann auch privater Elektronikschrott abgegeben werden. Für eine Frau mit einer Tüte voller Leuchtstoffröhren wird die Kette ausgehakt. Das, sagt Erhard E. sei „doch selbstverständlich“. Auch der Winternotdienst der Stadt darf ein- und ausfahren. Und das kleine, orange Müllauto, das die Papierkörbe in der Königstraße leert. „Wir wollen nicht“, sagt Erhard E., „dass die Bürger im Müll umkommen. Da kommen doch auch Touristen hin.“

Die Königstraße im Müll, das ist für die Müllwerker ebenso undenkbar wie für Riexinger. Doch auch in Sachen saubere Stadt machten sich die Stellenstreichungen der letzten zehn Jahre bemerkbar: „Es sieht hier alles längst nicht mehr so ordentlich aus wie früher.“

„Bei der AWS“, schimpft Erhard E., „sind in den letzten Jahren von fast 2.000 Stellen nur 750 noch übrig geblieben.“ Der Mechaniker ist für die Reparatur der Müllfahrzeuge zuständig, 58 Jahre alt und sauer: „Die da oben, die spinnen doch!“ Sein Kollege Uwe ist Fahrmeister, 49 Jahre alt: „Mir reicht es! Wir streiken nicht gegen die albernen 18 Minuten! Und schon gar nicht gegen die Bürger. Ich bin selber Bürger!“ Es gehe um Arbeits- und Ausbildungsplätze, um die Chancen für junge Leute. Eine Kollegin gibt die blauen Müllsäcke aus, die während des Streiks an Privathaushalte gratis verteilt werden. Drei pro Haushalt. Eine Stuttgarterin asiatischer Herkunft verlegt sich aufs Handeln. Sie braucht Säcke für drei Haushalte: „Sonst kommt der Müll auf die Straße.“ Sie darf ausnahmsweise sechs Plastiksäcke davontragen. Eigentlich, sinniert Erhard E., seien die Stuttgarter Behörden ja noch human. 15 Euro Strafe kostet eine fortgeworfene Kippe: „In anderen Ländern, in Japan oder so, sind die viel strenger.“