Hamburgs Samariter-Verein lässt gewinnen

Nach zwei Niederlagen gegen schwächere Teams ringt der HSV darum, egoistischer zu werden. Auch beim Nordderby am Mittwochabend gegen Hannover 96 spielten die Hamburger Kicker lieber den Ball in den eigenen Reihen, anstatt dem Gegner eins auf’s Dach zu geben und verloren 1:2

Verlieren muss Thomas Doll noch lernen. Als Trainer der Bundesliga-Fußballer vom Hamburger Sport-Verein hatte er noch nicht viele Gelegenheiten, bei denen er an Niederlagen wachsen konnte. Dafür gab es unter ihm einfach zu wenige. In einer Phase, die den HSV als großzügigen Aufbaugegner für Teams aus dem mittleren und unteren Tabellenbereich auszeichnet, sollte allerdings auch der Trainer aufopferungsvoller handeln. Doch Thomas Doll ließ sich nach der 2:1-Niederlage gegen Hannover 96 am Mittwochabend nicht von Premiere zum Interview aufhalten. Er stapfte sauer in die Stadion-Katakomben.

Dabei überzeugte der Tabellendritte in Hannover mit ausnahmslos selbstlosem Handeln. Dem Gegner zeigte man, wie gepflegt der Ball in den eigenen Reihen gespielt werden kann, gefährlich wollte man diesem jedoch achtzig Minuten lang keinesfalls werden. Diese altruistische Art, Fußball zu spielen, hat bisher kaum eine Mannschaft der Bundesliga so tiefgründig interpretiert wie der HSV mit seinen zwei Auswärtsniederlagen gegen Nürnberg und Hannover zu Beginn der Rückrunde.

„Ich habe gedacht, dass wir unser Samariterdenken abgelegt haben“, sagte Doll. Würde die Mannschaft auftreten, wie er sich das vorstellt, bestimmten Entschlossenheit und die Suche nach dem Abschluss das Spiel. Doch das Spiel seines Teams wirkt seltsam befallen und schwermütig. Es fehlt nicht nur die Leichtigkeit des Spielmachers Rafael van der Vaart, sondern auch das Gefühl der Hinrunde, die Gegner beherrschen zu können. „Jetzt muss sich zeigen, für wen das die größere Herausforderung ist. Für die Gegner oder für uns selbst“, grübelte Doll über der Frage, ob der Erfolg des HSV eine zusätzliche Motivation für die Gegner darstellen würde.

Diese Nachdenklichkeit spiegelte sich auch im Spiel des HSV wider. Zögerlich ging die hochgelobte Defensivabteilung zu Werke und nahm beinahe widerstandslos das 1:0 durch Dariusz Zuraw (48.) hin. Dieser köpfte, nachdem Sergej Barbarez seinen Schädel einzog, zur Führung der 96er ein. Und auch das 2:0 durch einen flachen Distanzschuss von Vahid Hashemian (72.) entsprang dem unentschlossenen Tun der Defensive. Innenverteidiger Khalid Boulahrouz versuchte das Malheur herunterzuspielen: „Wir kommen wieder.“ Auf die bittende Aussage eines Lokaljournalisten: „Aber ihr müsst schnell wiederkommen“, entgegnete der Niederländer knapp: „am Samstag“. Da ist Mainz 05 zu Gast, und man konnte in Hannover nicht den Eindruck gewinnen, dass sich die HSV-Spieler ihrer schwierigen Lage bewusst wären. „Wir haben vergessen, die Ordnung zu halten“, so Boulahrouz. „Das kann mal sein, dass es nicht läuft.“

Dem wenig gleichmütigen Trainer Doll ist das bisher in der Rückrunde Gebotene zu wenig: „Wir müssen kerniger werden in der Defensive.“ Dass auch die Offensivabteilung nur durch die beiden Außenverteidiger vertreten war, macht Doll gleichermaßen Sorgen. Auf Ailton muss er nach einem Zusammenprall mit 96er Hanno Balitsch und einem Unterkieferbruch nun sechs bis acht Wochen verzichten. „Mir fehlt auch der Biss um den Strafraum herum“, räumt Doll ein. Daran ändert auch das offensive Bemühen nach dem 2:0-Rückstand und dem daraus resultierenden 2:1 durch Sergej Barbarez (81.) nichts. „Ich verstehe nicht, wieso wir erst nach einem Rückstand loslegen“, fragt sich Doll. Hinten zu wenig kernig, vorne nicht gefährlich genug. Die Spieler täten gut daran, dem Rat des Trainers zu folgen: „Die Glocken, die jetzt über Hamburg klingeln, sollten wir wahrnehmen – auch wenn es noch keine Alarmglocken sind.“

Oke Göttlich