: Born to be alt
Daniel Burmans „Derecho de familia“ (Panorama) erzählt die Geschichte eines Schlipsträgers, der anscheinend nie jung war – leider zum Ende hin etwas zu süßlich
Vor zwei Jahren stellte der argentinische Regisseur Daniel Burman einen sympathischen Film im Wettbewerb der Berlinale vor: „El abrazo partido“, „Die gespaltene Umarmung“. Es ging darin um einen Mann namens Ariel, der, obschon 30 Jahre alt, nicht erwachsen werden wollte. Das Architekturstudium hatte er abgebrochen, der Mutter half er im Dessousgeschäft, dem nach Israel emigrierten Vater grollte er in unverhältnismäßiger Weise. Die Großmutter war vor den Nazis aus Polen nach Argentinien geflohen, und da Ariel für sich in Buenos Aires kein Auskommen sah, trug er sich mit der Absicht, um einen polnischen Pass anzusuchen und nach Europa zu emigrieren.
Der Darsteller Daniel Hendler erhielt für seine Leistung einen Silbernen Bären; er gab Ariel sympathisch-neurotische Züge. Die dynamische Kamera von Ramiro Civita unterstrich die Grillen der Figur virtuos, und der Mikrokosmos einer Ladengalerie im jüdischen Stadtviertel Once barg wenn nicht eine ganze Welt, so doch eine Geschichte mit viel Substanz: En passant erzählte „El abrazo partido“ nicht nur vom Warschauer Ghetto, dem jüdischen Selbstbewusstsein in der Diaspora, dem Verhältnis zu Israel, sondern noch dazu vom argentinischen Staatsbankrott.
Auch in Burmans neuem Film, „Derecho de familia“ („Familienrecht“), spielt Daniel Hendler die Hauptfigur. Er ist der Juradozent Perelman junior. Wieder geht es um das Verhältnis von Söhnen und Vätern, wieder hat der Protagonist einen Hang zur Neurose – mit einem Unterschied: Während Ariel dem Erwachsensein davonlief, ist Perelman junior von Anfang an so erwachsen, dass man sich verwundert fragt: War dieser Mann jemals jung? Nur wenn er akkurat gebügelte Hemden trägt und eine Krawatte, fühlt er sich wohl in seiner Haut. Wenn er im Trainingsanzug zu den Pilatesstunden seiner zukünftigen Ehefrau geht, leidet er, und wenn er – nach einem Zeitsprung – mit seinem zweijährigen Sohn am Schwimmunterricht teilnimmt, graust es ihn vor den haarigen Oberkörpern der anderen Väter. Wessen Oberkörper am meisten Haare hat? Perelmans natürlich. Und wie stattet er die Kleinkinder aus, als er sich bei einem Fest in der Kindertagesstätte um die Kostümierung kümmern soll? Mit Anzug, Hemd, Krawatte, Aktentasche.
Wie in „El abrazo partido“ führt Ramiro Civita die Kamera, das sorgt für einen agilen Stil – besonders am Anfang von „Derecho de familia“: Die Kamera heftet sich an die Füße von Perelmans Vater, verfolgt sie treppauf, treppab, Gänge und Straßen entlang – bis sich ein Bus zwischen das Objektiv und den Schauspieler schiebt. Burmans Stärke liegt in der Gabe, Alltagsepisoden mit leichter Hand in Szene zu setzen. In den Szenen stecken eine schöne Subtilität und ein sanfter Humor; heiter stellt sich „Derecho de familia“ den Untiefen modernen Alltags und erzielt so eine feine Balance zwischen Komödie und Drama.
Bei all diesen Vorzügen ist es ein wenig schade, dass der Regisseur diesmal einer leicht süßlichen Auflösung zustrebt – und dass der neue Film bei der Familiengeschichte Halt macht, während „El abrazo partido“ unter der Oberfläche der Milieuskizze so reich war, dass man beim Betrachten eine Vorstellung von verlorener, gefundener und wieder aufgegebener Heimat entwickelte.
CRISTINA NORD
„Derecho de Familia“. Regie: Daniel Burman. Spanien, 102 Min. 10. 2.,19 Uhr, Zoo Palast 1; 11. 2., 11 Uhr,CinemaxX 7; 12. 2., 14.30 Uhr, International; 19. 2., 19 Uhr, Zoo Palast 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen