DIE KLEINE WORTKUNDE

Erst schenkte Angela Merkel uns das Wort „alternativlos“, jetzt eine neue Bezeichnung für das World Wide Web: „Das Internet ist für alle Neuland“, sagte die Kanzlerin bei der vorgestrigen Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama. #Neuland verbreitete sich rasch im Netz und regte sowohl private User als auch Oppositionspolitiker zu hämischen Seitenhieben an.

„Neuland“ (auch Neubruch, Waldhufen oder Rodeland) bezeichnet neu gewonnenes Ackerland, das durch vorherige Rodung nutzbar gemacht wurde. Es setzt sich zusammen aus „neu“ (aus jüngster Zeit stammend, anders als früher, noch unbekannt, unbenutzt), welches aus dem althochdeutschen „niuwi“ (frisch, sich erneuernd, veränderlich) aus dem 8. Jahrhundert stammt, dass auf das germanische „newjaz“ (neu, jung) zurückgeht. „Land“ kommt vom althochdeutschen „lant“ (Festland, Erdboden, Grundstück, Staat). Merkel konnte schon früher für sich ausnutzen, dass man sie nicht ernst nahm. Die unbedarfte „Neuland“-Aussage wird ihr keinesfalls schaden, sondern einen Niedlichkeitsbonus einbringen – nebenbei war der NSA-Skandal um „Prism“ plötzlich kein Thema mehr. Vielleicht wusste Merkel sehr gut, was sie sagte, denn möglicherweise sprach sie nicht vom jetzigen, sondern vom zukünftigen Internet? Ein Internet, das für die wirtschaftliche Ausbeutung gerodet wurde, kein Netzneutralitätswildwuchs mehr, stattdessen ordentliche Paywalls und Netzsperren. So gesehen war die Äußerung eine Drohung: „Wir fangen gerade erst an.“ ERIK WENK