Helmpflicht per Richterbeschluss

RADFAHREN Ein Urteil aus Schleswig heizt die Debatte um die Helmpflicht neu an, denn das geht davon aus, dass jeder Radler Helm trägt. Dafür soll die neue Straßen-verkehrsordnung Extra-Ampeln für die Radler bringen

Die Radfahrerin fuhr völlig regelkonform auf der Straße, als sich plötzlich vor ihr die Tür eines parkenden Autos öffnete. Sie stürzte, verletzte sich am Kopf: eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung, die über zwei Monate im Krankenhaus behandelt werden musste. Als sie von der Autofahrerin vor Gericht Schmerzensgeld und Schadensersatz forderte, fällte das ein überraschendes Urteil.

Das Oberlandesgericht Schleswig entschied, dass die Radfahrerin zu 20 Prozent eine Mitschuld trage, weil sie keinen Helm getragen habe, obwohl es keine Helmpflicht gibt und die Autofahrerin sich regelwidrig verhalten habe. Schließlich könne „grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird“, heißt es in der Urteilsbegründung, die Anfang der Woche veröffentlicht wurde.

Der Radfahrer-Verein ADFC reagierte empört auf das Urteil und kündigte an, die Klägerin beim Gang in die nächste Instanz zu unterstützen. „Nicht sachgerecht“ nennt ADFC-Jurist Roland Huhn das Urteil. „Es ist das erste Mal, dass eines der 24 Oberlandesgerichte in Deutschland im Alltagsradverkehr ein solches Mitverschulden eines Radfahrers ohne Helm annimmt.“

Er hält das Argument der Richter für unhaltbar: „Das würde bedeuten, dass 90 Prozent der Radfahrer im Straßenverkehr unverständige Menschen sind“, so Huhn. Schließlich trügen nur etwa zehn Prozent der Radfahrer einen Helm. Das Bundesverkehrsministerium will die Radfahrer nicht per Gesetz zum Helmtragen zwingen.

Geregelt ist hingegen seit der neuesten Fassung der Straßenverkehrsordnung vom 1. April, dass Radfahrer sich an Ampeln in Zukunft nicht mehr an die Grünphasen für Fußgänger halten müssen. Für sie gilt dann entweder ein Extra-Signal für Fahrräder oder das für die Autos. Der Hintergrund: „Fußgänger benötigen eine relativ lange Räumzeit“, sagt der Hamburger Fahrrad-Experte Stefan Warda, der früher für den ADFC gearbeitet hat und heute als Berater für Radverkehrskonzepte selbstständig ist.

Die Ampelphasen richten sich danach, wie lange der jeweilige Typus von Verkehrsteilnehmer braucht, um die Kreuzung zu überqueren. Da Radfahrer schneller als Fußgänger sind, bremst es sie aus, sich an die Fußgängerampel zu halten. Eigentlich müssten wegen der neuen Regeln viele Ampel-Kreuzungen umgebaut werden – entweder mit Radspuren auf der Fahrbahn oder Extra-Signalen für die Radfahrer. Dafür haben die Kommunen bis 2016 Zeit – so lange gilt eine Übergangsfrist und so lange müssen sich Radfahrer auch an die Fußgänger-Ampel halten.

Doch Warda ist nur mäßig optimistisch, dass die Städte und Gemeinde in fahrradfreundlichere Kreuzungen investieren: „Es gibt recht wenig Interesse.“ Er befürchtet, dass viele Gemeinden zur einfachsten Lösung greifen werden, die aber keine Verbesserung für die Radfahrer bringt. Sie können die Ampelscheiben der bisher reinen Fußgängerampeln wechseln: Dann ist dort nicht nur ein Ampelmännchen zu sehen, sondern auch ein Fahrrad. Die Grünphase für Radfahrer würde sich so nicht verlängern.  DANIEL KUMMETZ